Halbjahreszeugnis: Noten zum Heulen, Wüten, Lachen, Feiern!

Johannes Braun

Halbjahreszeugnis: alle Gefühle sind erlaubt.
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Als Schulbetreiberin hat Béa Beste bereits die komplette Palette zwischen Freude und Frust bei Familien beobachtet und begleitet. Manchmal fand sogar alles von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt gleichzeitig statt.

Ups, war es nicht gerade gestern, dass das Schuljahr angefangen hat? Ging es nicht los mit Schwung und guten Vorhaben – bei Kindern und Eltern? Und jetzt stehen wir mit den Halbjahreszeugnissen da. Heiter bis wolkig. Manchmal auch in einem Sturm von Gefühlen. Was braucht unser Kind jetzt? Was tut ihm gut?

Was machst du mit uns, Halbjahreszeugnis?

Auf jeden Fall ist der Tag der Zeugnisvergabe meist von starken Emotionen geprägt. Also: Einige Kinder grinsen über beide Ohren, einige schimpfen, einige weinen, einige sind enttäuscht, desillusioniert, nervös, erleichtert oder fühlen sich wie der King… und natürlich nehmen sich einige vor, dass alles anders wird. In uns Eltern gehen derweil oft ganz andere Dinge vor und durch den Kopf. Wir haben unseren eigenen Erfahrungsschatz, Werte- und Erwartungskanon. Da treffen manchmal ganz unterschiedliche Gefühlswelten aufeinander, wenn wir plötzlich vor unserem Zeugniskind stehen.

Eine Patentlösung für die perfekte Reaktion gibt es nicht – in jedem individuellen Reaktionsmuster steckt Konfliktpotenzial. Emotionale-Intelligenz-Frage an uns Eltern: Wie und wo hole ich mein Kind gefühlstechnisch am besten ab, um seine Lernmotivation aufrecht zu erhalten oder gar noch etwas mehr heraus zu kitzeln?

Mein Tipp: Nehmt euch Zeit und Ruhe und versucht, dem Kind wirklich zuzuhören und es mit all seinen Gefühlen zu verstehen!

In welcher Stimmung kommt mein Kind nach Hause? Ist Party angesagt, Muffeligkeit bis Antihaltung, ratloses Kopfkratzen, die blanke Wut oder wartet da gar schon ein Meer an Tränen am Lidrand auf seinen Durchbruch? Was bewegt mein Kind just in diesem Moment? Welche Bedeutung haben Lernen und Leistung in seinem Köpfchen und Herzen? Kann es sein, dass es sogar betrübt ist über eine 2? Oder total happy mit einer 4? Was braucht es, um sich gut zu entwickeln? Was braucht ihr als Familienteam, um die Erfahrungen in der Schule zu wertvollem und positivem Ansporn zu machen?

Schafft eine Atmosphäre der Zugewandtheit. Schaut, womit euer Kind (neben dem Zeugnispapier) nach Hause kommt: Sind es gute Gefühle oder schlechte Gefühle?

Habt ihr die Gemütslage analysiert, könnt ihr – falls passend – auch mal kreativ reagieren. Zum Beispiel mit den Bastelbögen „Happy Halbjahreszeugnis“ für gute Laune und „Näääh Halbjahreszeugnis“ für schlechte Laune.

Manchmal möchte man allerdings etwas tiefer in die Psychologie seines Kindes einsteigen. Dafür ist ein Perspektiv-Wechsel super:

1. Schule tickt jetzt anders

„Als ich zur Schule ging…“ und „Als ich so alt war wie du…“ liegt euch auf der Zunge? Lasst es. Macht überhaupt keinen Sinn. Als ihr so alt wart wie eure Kinder, also vor ungefähr so 20-40 Jahren, war die Welt anders. Die Welt, in der eure Kinder in 10-30 Jahren arbeiten und bestehen werden, wird sich noch rasanter entwickeln… Trainiert die heutige Schule wirklich die Fähigkeiten, die sie später brauchen? Sind die Noten, die euer Kind schreibt, wirklich so dermaßen aussagefähig? Oder kann es sein, dass in Zukunft andere Dinge wichtigere Rollen spielen?

2. Skills und Interessen toppen Noten

Nicht nur als Schulgründerin, sondern auch Management Beraterin kann ich euch versichern, dass immer mehr Top-Arbeitgeber bei der Auswahl der Mitarbeitenden einen totalen Paradigmenwechsel vollziehen. Noten werden immer unbedeutender, Fähigkeiten und Interessen immer wichtiger. Jedes Mal, wenn euch die Angst einholt, dass euer Kind vielleicht schwach performt, versucht zusammen herauszufinden: Wo ist es stark? Was hat das Kind für echte Interessen, denen es begeistert nachgehen kann…  Genau. Ein schönes Gesprächsthema jenseits von Zeugnis-Talk.

3. Feiert die Fehler

Zu viele Lehrer, gerade in Deutschland, sind trainiert qua Studium und Tradition (um nicht zu sagen „abgerichtet“) auf den sogenannten Defizit-Blick, sprich: Rotstiftmentalität. Fehler finden, sie fett hervorheben und sie dann AUSMERZEN. Yay!!! Insofern feiern sie die Fehler schon – aber nur für sich. Beim Kind kommt diese Freude des Fehlerfindens eher mittelfreudig an. Es liegt vielleicht an uns Eltern, uns ohne die Sorgenkeule zu schwingen mal auf die Fehler unsere Kids einzulassen und sie für das anerkennen, was sie wirklich sind: Lernversuche. Das Beste, was unser Kind angesichts seiner inneren Kraft und der gerade vorherrschenden Laune leisten konnte, und dazu etwas, was eben nicht so gut funktioniert hat. Genau: Jetzt weiß das Kind, was nicht funktioniert. Das ist ein Erkenntnisgewinn! Feiert das.

4. Schenkt Vertrauen

Im Tollabea Blog habe ich es ausführlicher beschreiben – an dieser Stelle nur eine schnelle Anregung: Nutzt eure Fantasie für etwas anderes als Sorgen. Sondern dafür, was (siehe Punkt 2) eurer Kind aus seinen Neigungen und Interessen noch alles Spannendes machen könnte. Hört auf, euch in die Spirale jetzt-eine-4-morgen-schlimmer-und-dann-verfehlt-mein-Kind-die-ganze-Laufbahn hineinzusteigern. Fangt lieber an hinzusehen und zu hören, wofür sich das Kind begeistert… Das ist letztendlich, was zählt.

Alles easy, also? Nicht ganz: Es gibt zwei Bereiche, bei denen besonders viel Feingefühl und Unterstützung gefragt sind. Hier sind es oft die leisen Töne, die Eltern einen Hinweis geben.

Haben Kinder bereits zu viele Frusterfahrungen gemacht – meistens stark beeinflusst durch das Feedback von Erwachsenen (Bezugspersonen, Lehrer, Familie, Freunde, Vorbilder etc.) – kann es sein, dass sie sich selbst nichts mehr zutrauen. Hier gilt es hinzuhorchen und die Quelle des Frustes auszumachen. Wer oder was schüchtert euer Kind so ein, dass es blockiert ist? Solltet ihr entdecken, dass ihr es (natürlich nicht mutwillig) selbst seid, wäre das der härteste Kampf. Sich selbst und seine Leistungsansprüche an das Kind zu hinterfragen lohnt sich immer wieder.

6. Mobbing

So, jetzt wird es noch ernster. Fühlt sich euer Kind eingeschüchtert und bedroht, kann es sein, dass es Angst hat, sich mitzuteilen. Hier könnte ich nur ganz still und ermunternd werden. Auf jeden Fall ist es extrem wichtig zu wissen, ob hier nicht eine enorme Belastung für euer Kind schlummert… Und wenn ihr da einen Anfang gefunden habt, gilt es, entschieden dagegen vorzugehen. Und eurem Kind bedingungslose Liebe und Schutz zu gewähren.

Seid ihr bereit, aus dem Halbjahreszeugnis einen Ansporn für die nächste Halbzeit zu machen? Dann seid ihr jetzt dran! Viel Freude und viel Erfolg!

Liebe Grüße,

Béa

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Über Béa Beste

Bildungsunternehmerin © Béa Beste Béa Beste ist Bildungsunternehmerin und Mutter einer großen Tochter, die sich schon im Studium befindet. Im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin plädierte Béa Beste als Expertin im Bereich „Wie wollen wir lernen?“ für eine Lernkultur der Potenzialentfaltung und mehr Heiterkeit in der Bildung. Béa gründete 2006 die bilingualen Phorms Schulen. Nach sechs Jahren als CEO ging sie 2011 auf Bildungsexpedition durch Indien, Australien, Indonesien und die USA. Inspiriert von internationalen Bildungsinnovationen entwickelte sie das Playducation Konzept: Was wäre, wenn sich Lernen wie Spielen anfühlt? Leider setzte sich das Produkt, die monatliche Tollabox mit Materialien und Ideen für Familien mit Kindern ab drei Jahren, nicht am Markt durch, sodass Béa derzeit neue Ideen entwickelt, um das Konzept digital umzusetzen. Sie führt den Kreativ-Blog der Tollabox als ‘Tollabea’ weiter

Webseite: www.tollabea.de | Facebook: facebook.com/tollabea

Twitter: @TOLLABEA | twitter.com/TOLLABEA

Johannes Braun

Johannes Braun studiert Politikwissenschaften in Hamburg, ist ältester Bruder von zwei Geschwistern und interessiert sich für die Themen Neue Medien und digitale Wissensvermittlung. Er unterstützt scoyo als Werkstudent.