Chill-Out statt Burn-Out: Es muss nicht immer das Gymnasium sein

Katharina Looks

Entspannt euch! Es geht auch ohne Gymnasium.
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Ihr Kind hat keine Gymnasialempfehlung oder will kein Abi machen? Kein Problem! Kolumnist Christian Hanne kennt ein paar sehr gute Gründe, warum es nicht immer das Gymnasium sein muss.

In den nächsten Wochen enden in ganz Deutschland die Anmeldefristen für die weiterführenden Schulen. Vielleicht gehören Sie zu den Eltern, deren Kind keine Gymnasialempfehlung bekommen hat, und für Sie ist eine Welt zusammengebrochen, denn der Weg Ihres Kindes zum Medizin- und Jura-Studium und zu einer glänzenden, Reichtum versprechenden Karriere scheint verbaut zu sein. (Und wer soll dann später für den Unterhalt der luxuriösen Senioren-Residenz auf Mallorca bezahlen, in der Sie Ihren Lebensabend zu verbringen gedenken?)

Die heutige Kolumne möchte Ihnen aber Mut machen und voller Mitgefühl zurufen: „Verzweifeln Sie nicht!“. Das Leben ist auch ohne Gymnasium schön. Vielleicht sogar viel schöner, denn das von allen angestrebte Gymnasium ist möglicherweise überschätzt und die anderen Schulformen scheinen bei genauerer Betrachtung sehr viel vorteilhafter zu sein. Aber lesen Sie selbst!

Sit back and relax: tiefenentspannt durch die Schulzeit

Einfach mal abhängen: Wenn Ihr Kind nicht fürs Gymnasium büffeln muss, kann es einfach sein Leben chillen – so wie dieses Faultier (nur sieht es dabei nicht so süß aus).
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Kein Wunder, dass immer mehr Gymnasiastinnen und Gymnasiasten unter Erschöpfungsdepressionen leiden. Viele von ihnen sind nur in der Lage, das Lernpensum zu schaffen, indem sie sich zum Frühstück einen Cocktail aus Amphetaminen, Ritalin und Modafinil reinpfeifen. Und um dem Chemie-, Mathe- oder Geschichtsunterricht folgen zu können, werden in der Pause literweise Energy-Drinks und Mate-Limos geext.

Indem Ihr Kind nicht aufs Gymnasium geht, erspart es sich das Schicksal eines burn-out-gefährdeten Key-Account-Managers. Für Sie persönlich hat das außerdem den großen Vorteil, Ihre Niere nicht auf dem Schwarzmarkt verkaufen oder nackt putzen gehen zu müssen, um bei zwielichtigen Dealern die ganzen chemischen Wachmacher und Konzentrationsbooster für Ihr Kind besorgen zu können.

Ihr Kind kann es auf der Real- oder Hauptschule im Vergleich zum Gymnasium wesentlich gemütlicher angehen lassen und eine unbeschwerte Jugend genießen. Es kann ganze Wochenenden durchchillen, ohne das Bett zu verlassen, alle 10.229 YouTube-Videos von Gronkh anschauen, einen neuen Weltrekord im Netflix-Bingewatchen aufstellen und sämtliche Teile von Grand Theft Auto bis zum Ende durchspielen.

Nach der Mittleren Reife ist Ihr Kind dann tiefenentspannt wie ein Zen-Mönch, so dass es aufs Gymnasium wechseln und ganz relaxt sein Abitur machen kann.

Niemand braucht minderjährige Studenten

An vielen Gymnasium wird das Abitur – zumindest gegenwärtig noch – schon nach zwölf Jahren abgelegt. Somit erlangen die meisten Schülerinnen und Schüler ihre Hochschulreife, bevor sie die Volljährigkeit erreicht haben. Sie als Eltern müssen dann mit ins Einschreibebüro der Uni dackeln und eine Unterschrift leisten, damit Ihre Brut exotische Fächer wie Papyrusforschung, Fennistik oder Betriebswirtschaftslehre studieren kann.

Eltern haften für ihre Kinder: Wenn Sie für Ihren minderjährigen Nachwuchs eine Studentenbude anmieten, müssen Sie im Ernstfall auch den Kammerjäger zahlen. Oder das Messi-Team von RTL II kommen lassen.
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Da ist es geradezu ein Glücksfall, wenn Ihr Kind nicht aufs Gymnasium geht. Nach der Mittleren Reife beginnt es hoffentlich eine Ausbildung und verdient ein eigenes Gehalt, was für Sie eine lukrative Einnahmequelle bedeutet. Sie können von Ihrem Kind Geld für Kost und Logis verlangen, wodurch sie die Möglichkeit haben, zwei- bis dreimal im Jahr Städtereisen ins europäische Ausland zu unternehmen. Bedauerlicherweise ohne das Kind, denn so viel Miete können Sie ihm auch nicht abknöpfen. Außerdem muss es ja arbeiten.

Elternabend: Let me entertain you!

Laaaaaaaaaaaaaaangweilig: Elternabende am Gymnasium sind zäh und fade wie ein ranziges Kaugummi.
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Aus der Grundschulzeit Ihres Kindes wissen Sie bereits, dass Elternabende, so wichtig sie auch für den Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern sind, häufig sehr anstrengend sein können. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern: Auf dem Gymnasium sind Elternabende noch viel schlimmer. Keine Nichtigkeit ist trivial genug, um nicht in epischer Breite ausdiskutiert zu werden, die Aussage “Es gibt keine dummen Fragen” verliert ihre Gültigkeit und eine Runde chinesische Wasserfolter erscheint eine mehr als attraktive Alternativbeschäftigung zu sein.

Als Krönung eines langen, stressigen Arbeitstages müssen Sie sich mit den vollkommen bizarren Vorstellungen anderer Eltern auseinandersetzen: “Ich möchte unter keinen Umständen, dass im Sportunterricht gefährliche Sportarten wie Basketball ausgeübt werden. Sonst verletzt sich Karl-Theodor seine zarten Finger und kann nicht am Cello-Vorspiel teilnehmen.” Ein Moment, in dem Sie auch als radikal-pazifistisch gesinnter Mensch das dringende Bedürfnis verspüren, sich einen Arm auszureißen, um damit den Vater des Nachwuchs-Cellisten zu verhauen.

Dagegen sind Elternabende auf Gesamt-, Real- oder Hauptschulen geradezu paradiesisch. Zum einen ist die Zahl der anwesenden Eltern deutlich geringer und ihre Diskussionsbereitschaft ist weniger stark ausgeprägt. Beides wirkt sich sehr vorteilhaft auf die Dauer des Elternabends aus. Zum anderen haben die besprochenen Themen einen wesentlich höheren Unterhaltungswert. Da geht es zum Beispiel darum, dass “Du Opfer” keine adäquate Anredeform ist. Insbesondere nicht gegenüber dem Lehrpersonal. Oder darum, wie der Drogenkonsum in den Pausen auf ein verträgliches Maß reduziert werden kann, um den Unterricht in geregelten Bahnen abzuhalten. (Damit keine Missverständnisse entstehen: Es geht um den Drogenkonsum auf dem Pausenhof, nicht im Lehrerzimmer.) 

Aus reinstem Eigennutz sind unterhaltsame Elternabende ein sehr guter Grund, Ihr Kind nicht ohne Not aufs Gymnasium zu schicken.

Wer braucht schon Abitur?

Heutzutage ist es durchaus möglich, auch ohne Hochschulreife eine glänzende Karriere hinzulegen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die letzte Kolumne und an Thomas Mann, der es mit Realschulabschluss bis zum Literaturnobelpreis schaffte.

Es gibt aber auch Fälle, die der Lebenswelt Ihrer Kinder möglicherweise näher sind. Zum Beispiel Sido. Das ist dieser Rapper, der früher nur mit Maske aufgetreten ist. (Nein, nicht Cro. Das ist der Typ mit der Pandafresse.) Mit fast vier Millionen verkauften Tonträgern gehört Sido zu den erfolgreichsten Rappern Deutschlands. Und das, obwohl er nur einen Hauptschulabschluss hat. (Unter Umständen hat dies seinen Erfolg sogar begünstigt.)

Vom Bordstein zur Skyline: Karriere machen geht auch ohne Abitur, zum Beispiel als Literaturnobelpreisträger. Oder als Gangster-Rapper.
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Als Eltern wird es Sie sehr freuen, dass Sido auch ohne Abitur und trotz seines Erfolges seine Mutter abgöttisch liebt. In seinem Song “Mama ist stolz” bringt er dies in – zugegebenermaßen etwas schlichten und die Grenzen der Grammatik strapazierenden aber dafür sehr ehrlich gemeinten – Sätzen zum Ausdruck:

Ich werd’ dir doppelt so viel Gutes tun, wie du für mich gemacht hast!
Wünsch’ dir was und Ich schwör’ dir ich mach das!
Ich will dir noch so viel sagen, doch ein Track reicht nicht!
Ich bin froh, dass du mich liebst! Dein Sohn ist stolz auf dich!

Sätze, die Sie sicherlich gerne auch mal von Ihrem Kind hören würden.

Der Vollständigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass sich Sidos Liebe zu Müttern auf die eigene beschränkt. 2009 stand er vor Gericht, weil er einer gehbehinderten Rentnerin erläuterte, er gedenke, mit einer ihrer Krücken ihre Mutter zu erschlagen. Sidos cholerisches Temperament und sein Mangel an allgemein akzeptieren Umgangsformen muss aber nicht zwangsläufig damit zu tun haben, dass er nicht aufs Gymnasium gegangen ist. Von daher können Sie Ihr Kind ruhigen Gewissens auf die Real- oder Hauptschule gehen lassen. Es wird schon irgendwie gut gehen.

Gut Ding will Weile haben

Nun werden Sie einwenden, dass nicht jedes Kind mit dem Talent und der Street Credibility gesegnet ist, um Erfolg als Gangster Rapper zu haben. Daher wäre so ein Abitur prinzipiell doch keine schlechte Sache. Obwohl Sie damit nicht ganz Unrecht haben, muss ihr Kind trotzdem nicht die besten Jahre seiner Jugend mit dem Büffeln auf dem Gymnasium verbringen. Heutzutage ist es durchaus üblich, das Abitur später zu machen, etwa auf der Abendschule oder im Erwachsenen-Kolleg. Ihr Kind hat also sein ganzes Leben Zeit, sein Abi zu machen.

Hier taugt beispielsweise die Berlinerin Sonja Rasch als glänzendes Vorbild. Die hat 2008 ihre Hochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg erworben. Und zwar mit stolzen 78 Jahren und nur sechs Monate nach einer Herzklappen-OP.

Reflexartig denken Sie jetzt womöglich, dass sei doch ein bisschen sehr spät, aber wenn Sie nur ein wenig darüber nachdenken, werden Sie sehen, dass die Vorteile eines späten Abiturs nicht von der Hand zu weisen sind.

Bei einer fast 80-jährigen Schülerin müssen Sie als Eltern nicht die Erledigung von Hausaufgaben anmahnen oder unregelmäßige französischen Verben abfragen. Außerdem werden Sie auch nicht am späten Abend von der Ankündigung überrascht, am nächsten Tag fände in der Schule ein Kuchenverkauf statt, für den Sie noch 64 glutenfreie, vegane Dinkelmehl-Cup-Cakes backen müssten.

Einen winzigen Nachteil hat es allerdings doch, wenn Ihr Kind erst im Greisenalter Abitur macht: Sie leben dann wahrscheinlich gar nicht mehr und können nicht mit ihm zum Abi-Ball gehen. Also, schicken Sie Ihr Kind vielleicht doch lieber jetzt schon aufs Gymnasium.

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Kolumne von Eltern für Eltern 

Im Wechsel schreiben Blogger und Journalisten über Themen, die Eltern bewegen. Lesen Sie hier Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens. Alle Kolumnen ansehen.

Über den Autor

Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.

Im September ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.

 

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Katharina Looks

Katharina Looks ist Brand Manager und Redakteurin bei scoyo. Ihr Herzensthema ist es, mehr Leichtigkeit in den Familien-Schul-Alltag zu bringen und Impulse für eine entspannte Lernatmosphäre zu setzen.