Als Eltern haben Sie sich sicherlich schon einmal Gedanken über das Medienverhalten Ihrer Kinder gemacht. (Wer dies verneint, werfe das erste Smartphone!) Haben täglich mehr als acht Stunden am Handy einen schlechten Einfluss auf schulische Leistungen? Ist „Call of Duty“ ein angemessenes Spiel für einen Vierjährigen? Hat „Bibis Beauty Palace“ eine abschreckende Wirkung und motiviert zum Lernen?
In die Ohren derart verunsicherter Eltern posaunt der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer seit Jahren seine Thesen vom schädlichen Einfluss der bösen digitalen Medien. Mit missionarischem Eifer und unter sarrazinhaft selektiver Verwendung von Statistiken führt Herr Spitzer mit populärwissenschaftlichen Büchern wie „Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ einen regelrechten Kreuzzug gegen Smartphones, Tablets und WLAN. Die sind für ihn schädlicher als Asbest und Nikotin.
Erst kürzlich warnte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk mal wieder vor der bedenklichen Wirkung der Digitalisierung:
„Wir ziehen uns eine Generation von Behinderten heran, ich sage es mal drastisch. (…) Wenn sie nur wischen als Kindergartenkind, endet ihre Karriere als Putzfachkraft. Das sollte man einfach nicht machen.“
Ein Statement so behindertenfeindlich wie sozial diskriminierend, das einem den Puls in die Höhe treibt und Schaumbildung vor dem Mund verursacht. Glücklicherweise gibt es viele Journalisten, Wissenschaftler und Pädagogen, die sich inhaltlich und argumentativ mit den Spitzerschen Ansichten auseinandersetzen, so dass ich das nicht machen muss. Ich könnte es auch gar nicht. Bei mir löst die undifferenzierte Vehemenz, mit der Herr Spitzer die Digitalisierung verteufelt, den spätpubertären Reflex aus, genau das Gegenteil zu argumentieren. (Eine postadoleszente Verhaltensstörung, die davon herrührt, dass ich als Kind auf dem C64 „Donkey Kong“ gespielt habe.)
„Unsere Kinder brauchen uneingeschränkten Zugang zu Tablets, Smartphones & Co., denn nur so werden sie klug, fit und reich!“
Herr Spitzer ist ein großer Gegner des Googelns, mindestens, wenn es Kinder und Jugendliche tun. Die Recherche im Internet führe zu oberflächlichem aber zu keinem richtigen Wissen. Bücher seien dagegen zu bevorzugen, denn da könne man sich halbwegs sicher sein, dass das stimmt, was drin steht. Eine Argumentation, die auf sehr tönernen Füßen steht. Schließlich werden die kruden, kulturpessimistischen Ansichten von Herrn Spitzer auch nicht schlüssiger, nur weil es sie in Buchform gibt. Somit liefert er gewissermaßen selbst den Gegenbeweis zu seiner eigenen Aussage.
Glücklicherweise müssen wir auch gar keine Angst haben, unsere Kinder googeln zu lassen. In einem Feldversuch, der für 42-jährige verheiratete Sozialwissenschaftler, die als Kommunikationsberater arbeiten und mit Frau und zwei Kindern in Berlin-Moabit leben, als repräsentativ gelten kann, habe ich zweifelsfrei nachgewiesen, dass das Internet sehr wohl förderlich für die Wissensvermittlung ist. Durch intensives Googeln habe ich zum Beispiel sehr viele Artikel und Aufsätze gefunden, die die Argumentation und Methodik von Herrn Spitzer kritisch hinterfragen. Dies hat mir aufschlussreiche Erkenntnisgewinne beschert, die ohne Google nicht so einfach möglich gewesen wären. Google kann also keinesfalls ein Einser-Abiturs gefährden!
2. Digitale Medien machen reich
Wenn Sie Herrn Spitzer glauben möchten – und ich hoffe, Sie möchten das nicht –, führt die Nutzung sozialer Medien zu sozialem Abstieg und macht unsere Kinder zu Trotteln, die prekären Beschäftigungsverhältnissen nachgehen müssen. Das ist natürlich grober Unfug. Genau das Gegenteil ist der Fall. Digitale Medien sind quasi Garant für sozialen Aufstieg und unvorstellbaren Reichtum. Werfen Sie einmal einen Blick in die Top-Ten der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt. Fünf von ihnen haben ihr Dagobert-Duck-haftes Milliardenvermögen mit Online-Handel, Software-Produkten, sozialen Netzwerken oder Telekommunikation verdient.
Wir sollten unsere Kinder also nicht von den digitalen Medien fernhalten, sondern sie schon ab dem Säuglingsalter daran heranführen. Indem wir unsere Kinder zu Digital Natives erziehen, steigen die Chancen, dass sie Milliardäre werden. Und zwar – laut Forbes-Top-10 – auf 50 Prozent. Sie finden diese Wahrscheinlichkeitsrechnung unlogisch? Dann haben Sie sich einfach noch nicht schlau genug gegoogelt.
3. Dauerzocken schult die Fingerfertigkeit
Herr Spitzer beklagt auch immer wieder, die frühzeitige Nutzung von Smartphones und Tablets sei ursächlich für motorische und sensorische Unzulänglichkeiten von Kindern, so dass sie in der Schule nicht einmal einen „Griffel halten“ können. Gerne möchte ich darauf hinweisen, dass in Schulen des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit Griffeln auf Schiefertafeln geritzt wird. (Das hätte Herr Spitzer googeln können.) Somit müssen wir uns auch keine Sorgen machen, wenn unsere Kinder nicht mit einem Faustkeil zurechtkommen, weil sie zu viel am Touchscreen gewischt haben.
Eine zukunftsorientierte Erziehung achtet darauf, dass Kinder nicht nur viel mit dem Tablet spielen, sondern schon im Kindergartenalter täglich mehrere Stunden an der Konsole zocken. Die regelmäßige Benutzung des Controllers mit seinen unzähligen Tasten, Knöpfen und Hebeln ist eine optimale Schulung ihrer Fingerfertigkeit. Bereits nach kurzer Zeit können Kinder virtuos mit dem Controller umgehen und zaubern bei „FIFA 18“ die phantastischsten Moves auf den Bildschirm. Und zwar schneller als Herr Spitzer „Kindergarten-Fingerspiele“ sagen kann.
4. Digitalen Sportskanonen gehört die Zukunft!
Womit ich eine weitere panikheischende These widerlegen möchte, die nicht nur Herr Spitzer immer mal wieder anführt: die Digitalisierung befördere Bewegungsmangel und Übergewicht. Durch die digitalen Medien zögen wir uns sozusagen eine Generation von Sportmuffeln heran.
Eine Angst, die wir als Eltern sehr gut nachvollziehen können. Uns alle treibt doch die Sorge um, dass unsere übergewichtigen Kinder, die ununterbrochen Chips fressend an der Konsole zocken, nicht in der Lage sind, einen Ball zu fangen, und dass ihre einzige Bewegungsaktivität darin besteht, ab und an aufs Klo zu gehen. Droht ihnen dadurch das unschöne Schicksal einer sportlichen Niete, die im Sportunterricht immer als Letzte gewählt wird? Eine soziale Demütigung, die wir unseren Kindern selbstverständlich ersparen wollen.
Trotzdem müssen wir unsere Kinder nicht aktionistisch im Turn-, Schwimm- und Leichtathletik-Verein anmelden. Die Zukunft des Sports ist nämlich der eSport! Für eSport-Turniere werden zehntausende von Tickets verkauft, erfolgreiche eSportler verdienen mittlere sechsstellige Jahresgehälter, Fußballclubs wie Schalke 04, Manchester City und Paris Saint-Germain haben eigene eSport-Abteilungen und es gibt ernsthafte Bestrebungen, dass eSport olympisch wird. Wir müssen uns also ein Beispiel an den Eiskunstlauf-Müttern vom DDR-Schlage nehmen und als Playstation-Eltern unsere pummeligen Kinder an die Konsole treiben. Es wird wahrscheinlich ihre einzige Möglichkeit sein, sportlichen Ruhm zu erlangen. Und wir müssen dann auch nicht mehr verschämt gegenüber Freunden und Verwandten eingestehen, dass unsere Kinder computerspielsüchtig sind, sondern können voller Stolz sagen: „Mein Kind ist e-Leistungssportler und trainiert vier Stunden täglich!“
5. Smartphones retten die Familien-Kommunikation
Für Herrn Spitzer (und nicht nur für ihn) ist es außerdem bedenklich, dass Kinder und Jugendliche ihre sämtlichen Sozialkontakte über den Bildschirm erledigen. Die neuen Medien würden reale Beziehungen verhindern.
Auch dieses Argument ist Quatsch. Im Gegenteil: Smartphones sind notwendig, um die Kommunikation mit unseren Kindern aufrechtzuerhalten. Als Eltern stehen wir alle vor dem Problem, dass unsere Kinder ab einem bestimmten Alter nur noch in Ein-Wort-Sätzen mit uns reden. („Wie war es in der Schule?“ „Gut“ „Gab es etwas Besonderes?“ „Nein“ „Was gab es zum Mittagessen?“ „Weißnich.“). Hier bieten Smartphones die letzte Möglichkeit, mit unseren Kindern ins Gespräch zu kommen. Dazu müssen wir lediglich unseren Kindern ein Smartphone schenken und ihnen dann nach ein paar Wochen sagen, sie sollen gefälligst ihren Medienkonsum einschränken, sonst würde der WLAN-Zugang gesperrt. Zugegebenermaßen entstehen dadurch keine schönen Gespräche, sondern von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägte Unterredungen, die in einer sozial abnormen Lautstärke geführt werden. Aber so pflegen wir immerhin sehr reale Beziehungen mit unseren Kindern. Und das ist es ja, was sich Herr Spitzer wünscht.
6. Keine digitale Macht den Arschgeigen
Sicherlich teilen Sie inzwischen meine bedingungslose Befürwortung der Digitalisierung aufgrund ihrer nicht von der Hand zu weisenden segensreichen Wirkungen. Dennoch möchte ich nicht verhehlen, dass es auch Schattenseiten gibt. Das Internet ist voll mit Inhalten und Personen, von denen wir unsere Kinder fernhalten möchten. Verschwörungstheoretiker fabulieren über Chemtrails, Reichsbürger hetzen gegen den Staat, AfDler verbreiten Lügen über Flüchtlinge, US-Präsidenten schreiben Fake-Tweets und brutale Porno-Videos sind nur einen Klick entfernt.
Aber genau deswegen müssen wir unsere Kinder ins Internet schicken. Schließlich wollen wir die digitale Welt nicht den Kriminellen, den Rassisten, den Perversen, den Psychopathen und den Lügnern überlassen. Lassen Sie uns unsere Kinder zu mitfühlenden, reflektierten und weltoffenen Menschen erziehen, dann werden sie das Internet zu einem besseren Ort machen!
Nach Fertigstellung des Beitrags habe ich mich schlau gegoogelt und die Erkenntnis gewonnen, dass meine einzigartige Begriffsschöpfung „Digitale Potenz“ nicht ganz so einzigartig ist, sondern bereits 2012 von Gunter Dueck auf seinem „WILD DUECK BLOG“ verwendet wurde und zwar in einem „Überspitzer gegen den Über-Spitzer“.
Weitere Kolumnen von Christian Hanne hier im ELTERN! Magazin:
Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September ist sein Buch „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“ im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.
In den nächsten Wochen steht er wieder an allen Schulen an: Der Elternsprechtag. Eigentlich eine sinnvolle Einrichtung, damit Lehrerinnen* und Eltern die etwaigen schulischen Probleme der Kinder besprechen können. (*In der Kolumne wird aus Gründen der Schreibökonomie ausschließlich die weibliche Form benutzt, alle anderen Geschlechter werden aber selbstverständlich immer mitgedacht.) In der Realität ist das aber weniger erquicklich, denn die Gespräche finden im Akkord statt wie beim Speed-Dating, nur bedauerlicherweise ohne alkoholische Getränke. Eltern müssen sich im Zehn-Minuten-Takt anhören, was ihr Kind für eine missratene, lernunwillige Brut ist, Lehrerinnen wird dagegen in jedem Gespräch mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass sie für pädagogische Tieffliegerinnen gehalten werden.
Als Service zur Vorbereitung auf den bevorstehenden Elternsprechtag habe ich Ihnen die nervigsten Eltern- und Lehrerinnensprüche zusammengestellt. Prägen Sie sich diese Sätze gut ein und verwenden Sie sie gefälligst nicht. Dann wird das Ganze vielleicht doch nicht so schlimm.
(Bei den Sprüchen handelt es sich um eine nicht-repräsentative Auswahl einer nicht-repräsentativen Umfrage unter meinen Mitleserinnen bei Facebook und Twitter. Herzlichen Dank für den zahlreichen Input!)
Die nervigsten Elternsätze beim Elternsprechtag:
„Wie sieht’s mit der Empfehlung fürs Gymnasium aus?“
Selbstverständlich ist das ein durchaus berechtigtes Thema für den Elternsprechtag. Aber nur sofern Ihr Kind – je nach Bundesland – in die vierte oder sechste Klasse geht. In der 1. oder 2. Klasse bekommen Lehrerinnen bei dieser Frage dagegen einen leichten bis mittelschweren juckenden Hautausschlag. (Genauso übrigens zu diesem Zeitpunkt bei Fragen nach möglichen Leistungskursen oder nach einer Einschätzung, ob das Kind das Potenzial für ein betriebswirtschaftliches Studium an einer internationalen Elite-Universität hat.)
Bleiben Sie als Eltern entspannt. In diesem jungen Alter wird bei Ihrem Kind noch nicht die Weiche auf Hochschulreife, Jurastudium und renommierter Wirtschaftsanwältin oder auf Dosenbier, Wohnzimmer-Fliesentisch und RTLII-Dauerglotzerin gestellt. Das passiert erst, wenn das Kind in der Oberstufe zu viele Drogen konsumiert. Ohnehin sollten Sie nicht so auf eine gymnasiale Schullaufbahn fixiert sein. Mit Abitur wird es für Ihr Kind wesentlich schwieriger, eine Karriere als erfolgreiche Gangsta-Rapperin zu machen.
„Ich wollte Sie nur mal kennenlernen.“
Dieser Satz ist auf mehreren Ebenen äußerst befremdlich. Was stimmt mit Ihnen nicht, dass Sie andere Menschen persönlich kennenlernen möchten? Das Smartphone und die diversen Social-Media-Plattformen wurden schließlich nicht erfunden, damit wir direkten Kontakt im echten Leben pflegen. Wenn Sie unbedingt die Lehrerin Ihres Kindes kennenlernen wollen, suchen Sie halt nach ihrem Facebook- und Instagram-Profil. Haben Sie erstmal die geschmacklosen Club-Med-Urlaubsfotos oder die ästhetisch fragwürdige Wohnzimmereinrichtung der Lehrerin gesehen, vergeht Ihnen schon die Lust, sie persönlich zu treffen.
Außerdem sollten Sie den Lehrerinnen nicht wertvolle Zeit stehlen, die sie für Eltern benötigt, deren Kinder wirklich schulische Probleme haben. Nehmen Sie sich also kein Beispiel an meiner Mutter, die einmal zum Elternsprechtag ging, um sich meinen neuen Physiklehrer, einfach mal „anzuschauen“. Dabei war ich doch ein derart mittelmäßiger Schüler, dass es überhaupt keinen Redebedarf gab. Okay, ganz so sinnlos war das Gespräch dann doch nicht, denn es stellte sich dabei heraus, dass ich in ein paar Hausaufgabenüberprüfungen Fünfen geschrieben hatte, bei denen ich es nicht für nötig gehalten hatte, meine Eltern davon in Kenntnis zu setzen. Eine derart unangenehme Unterhaltung, wie ich sie anschließend mit meiner Mutter führen musste, wollen Sie Ihrem Kind sicherlich ersparen. Gehen Sie also niemals unaufgefordert zum Elternsprechtag. Ihr Kind wird es Ihnen danken.
„Mein Kind hat lauter Fünfen geschrieben? Bestimmt ist es unterfordert.“
Sicherlich gibt es tatsächlich hochbegabte Schülerinnen, die vom normalen Schulstoff gelangweilt sind und deswegen schlechte Noten schreiben. So oft wie Lehrerinnen diesen Satz hören, müssten aber rund 50 Prozent aller Schülerinnen potenzielle Einsteins sein, die sich in ihrer Freizeit mit Quantenphysik beschäftigen und das Lernen unregelmäßiger französischer Verben als unter ihrer Würde erachten. Statistisch ist das eher unwahrscheinlich.
Das soll umgekehrt aber nicht heißen, dass jede Schülerin, die eine Fünf schreibt, dumm wie Brot ist und zu doof, ihren Namen zu klatschen. Ich kann beispielsweise aus eigener Erfahrung berichten – und meine Eltern werden dies bestätigen –, dass ich mir jede meiner Fünfen, die ich in Hausaufgabenüberprüfungen, Tests und Klassenarbeiten geschrieben habe, redlich verdient habe. Durch Faulheit, Nichtstun und allgemeine Antriebslosigkeit.
Bevor Sie der Lehrerin also irgendetwas von Hochbegabung erzählen, treten Sie lieber Ihrem Kind in den Hintern – selbstverständlich nur im übertragenen Sinn –, damit es sich mal von Konsole, Handy und Tablet löst und stattdessen für die Schule lernt. Dann reicht es in der nächsten Arbeit bestimmt für eine Vier minus.
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Zuhause ist mein Kind ganz anders.“
Diesen Satz gibt es auch in einigen anderen Varianten, wie zum Beispiel „Zuhause liest mein Kind ganz flüssig.“, „Zuhause rechnet mein Kind ganz zügig.“ oder „Zuhause streitet mein Kind nie.“, um nur einige zu nennen. Allen Aussagen ist gemein, dass sich das Kind zuhause angeblich vollkommen anders benimmt und sich die Lehrerin folglich bei ihrer Einschätzung irren muss. Bekämen Lehrerinnen jedes Mal einen Euro, wenn beim Elternsprechtag einer dieser Sätze fällt, ließen sie Jeff Bezos in der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt locker hinter sich.
Das Problem dieser „Zuhause ist mein Kind ganz brav/fleißig/friedfertig.“-Aussagen? Sie sind ungefähr so glaubwürdig wie:
- „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“ (Walter Ulbricht vor der Errichtung der Berliner Mauer, nicht der mexikanischen)
- „Die Renten sind sicher.“ (Nobert Blüm, der schon vorher kurze Beine hatte)
- „Das kann jedem mal passieren.“ (Sie, im Bett über die Erektionsprobleme Ihres Partners)
- „Ich bin mausgerutscht.“ (Die, deren Namen ich nicht nennen möchte, wenn sie wieder geistigen Dünnpfiff ins Internet geschrieben hat)
- Jeder Tweet von Donald Trump.
Damit Sie also in Sachen Glaubwürdigkeit nicht auf einer Stufe mit dem US-amerikanischen „Liar, liar, pants on fire“-Präsidenten stehen, sollten Sie „Aber zuhause“-Sätze beim Elternsprechtag tunlichst vermeiden.
Die nervigsten Lehrerinnensprüche beim Elternsprechtag:
„Das mit dem Gymnasium wird nichts.“
Ein in vielen Fällen sicherlich durchaus berechtigter Satz, denn nicht jede Schülerin ist für das Gymnasium geeignet. Aber als Lehrerin sollten Sie bedenken, dass viele Eltern sich bei diesem Satz fühlen wie eine GNTM-Kandidatin, der Heidi Klum gerade mitgeteilt hat: „Ich habe kein Foto für dich.“ In beiden Fällen zerstören ein paar Worte Träume, Wünsche und Lebensentwürfe.
Eltern interpretieren diesen Satz nämlich nicht als hilfreiche Information, dass sie ihrem Kind kein Gefallen tun, wenn sie es aufs Gymnasium schicken, sondern hören: „Ihr Kind wird ein Leben lang von Hartz 4 leben.“ Oder noch schlimmer: „Ihr Kind wird Ihnen ein Leben lang auf der Tasche liegen.“ Daher sollten Sie Eltern schonend beibringen, wenn Sie der Meinung sind, das Kind ist auf dem Gymnasium nicht gut aufgehoben.
Ohnehin sollten Sie sich in diesem Zusammenhang vor absoluten Aussagen hüten („Eher wird Boris Becker schuldenfrei, als dass Ihr Kind Abitur macht“), denn immer wieder kommt es vor, dass Schülerinnen, denen die gymnasiale Eignung abgesprochen wurde, dann als Jahrgangsbeste die Schule abschließen und schon stehen Sie als pädagogischer Vollpfosten da. Und für die werden Lehrerinnen ja ohnehin gehalten, da wollen Sie dieser vorherrschenden Meinung doch nicht durch unbedachte Bemerkungen Vorschub leisten.
„Ihr Kind stand zwischen Zwei und Drei. Um es zu motivieren, habe ich ihm die schlechtere Note gegeben.“
Wahrscheinlich müssen Lehrerinnen nach dem Zweiten Staatsexamen einen Eid schwören, dass sie unter gar keinen Umständen einer Schülerin die bessere Zensur geben dürfen, sollte sie zwischen zwei Noten stehen. Dieses Phänomen kenne ich noch aus meiner eigenen Schulzeit. Immer wenn ich zwischen zwei Noten stand, habe ich nie, aber wirklich nie, nie, niemals die bessere bekommen. Und immer wurde das damit begründet, dass ich mich dann im nächsten Halbjahr mehr anstrengen würde und dafür die bessere Note bekäme. Ein Fall, der nie, aber wirklich nie, nie, niemals eingetreten ist.
Versuche Sie vielleicht mal ein Experiment, liebe Lehrerinnen. Geben Sie in strittigen Fällen einfach mal die bessere Note. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die Schülerinnen darauf nicht ausruhen und nie wieder Hausaufgaben machen werden. Viel wahrscheinlicher werden sie auch am Schuljahresende wieder zwischen zwei Noten stehen. Und dann können Sie immer noch die schlechtere Zensur verteilen.
„Ihr Kind ist zu still.“
Dieser Satz leitet meistens die Begründung ein, warum das Kind keine bessere Note bekommen hat. „Wenn Ihr Kind nichts sagt, weiß ich gar nicht, ob es den Stoff nicht versteht, kein Interesse hat oder einfach nur geistig abwesend ist.“ Herrgott nochmal, wenn es sich um eine pubertierende Zehntklässlerin handelt, sind wahrscheinlich alle drei Vermutungen zutreffend. Dann können Sie sich als Eltern wenigstens darüber freuen, dass Ihr Kind vollkommen normal entwickelt ist.
Ohnehin habe ich diese Aussage „Das Kind ist zu still.“ nie wirklich verstanden. Was soll denn diese Abwertung zu still? Es heißt doch nicht umsonst „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“ Und die Tremeloes haben schließlich „Silence is golden“ gesungen und nicht etwa „Silence is unbearably awkward“. Es gibt ohnehin schon viel zu viele Menschen, die tagtäglich Unmengen an Unsinn in die Welt hinausposaunen, da sollten wir doch für jedes schweigsame Kind dankbar sein. Und das könnte ruhig mal mit einer guten Note belohnt werden. Meine Tochter würde sich freuen.
„Wie heißt Ihr Kind nochmal? Ich hab‘ da gerade gar kein Bild vor Augen.“
Ich habe für so eine Aussage selbst allergrößtes Verständnis, denn ich habe tagtäglich mit Leuten zu tun, bei denen mir partout nicht einfallen will, woher ich sie kenne. Ist es eine ehemalige Kollegin oder eine Klassenkameradin von früher oder eine alte Studienkollegin? Dass mir dann auch noch der Name dieser Personen einfällt, ist vollkommen ausgeschlossen. Es gibt sieben Milliarden Menschen auf der Erde und Millionen von Namen. Wenn Sie gut in Mathe sind, können Sie ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, einem Menschen den richtigen Namen zuzuordnen. Eher gewinnen Sie den 150-Millionen-Dollar-Jackpot bei einer amerikanischen Superlotterie.
Trotzdem macht es keinen guten Eindruck, wenn Sie freimütig zugegeben, nicht den blassesten Schimmer zu haben, wer von den verhaltensauffälligen Blagen aus der Klasse zu den vor Ihnen sitzenden Eltern gehört. Vor allem wenn Sie dem Kind ein paar Minuten später kategorisch die Fähigkeit absprechen, jemals die Hochschulreife zu erlangen. In so einer Situation bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ein paar belanglose Nettigkeiten von sich zu geben. („Ihr Kind macht sich richtig gut in letzter Zeit.“, „Wirklich aufgeweckt, Ihr Kind.“, „Um Ihr Kind müssen Sie sich keine Sorgen machen.“)
Damit nicht auffällt, dass Sie nicht wissen, über wen Sie eigentlich reden, dürfen Sie allerdings nie eine schlechtere Note als eine Zwei minus verteilen. Ansonsten könnte es zu unangenehmen Rückfragen der Eltern kommen.
Ausschließlich gute Noten zu verteilen, ist ohnehin empfehlenswert, denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern gar nicht erst zur Sprechstunde erscheinen. Und das ist noch besser als der 150-Millionen-Dollar-Jackpot einer amerikanischen Superlotterie!
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Am 17. Oktober ist sein neues Buch „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ im Seitenstraßen Verlag erschienen.
Jede Buchhandlung verfügt über mehrere Regalmeter voll mit Erziehungsratgebern, die alle möglichen Themen und Aspekte sowie jeden vorstellbaren und unvorstellbaren Erziehungsstil abdecken. Aber diese Informationsvielfalt verschafft anscheinend keine Klarheit, sondern eher Ratlosigkeit bei Eltern. Diese sind total verunsichert und fragen sich verzweifelt, über welche Kompetenzen und Eigenschaften sie verfügen müssen, um ihre Kinder einigermaßen unfallfrei zu erziehen.
Was liegt da näher, als bei Jemandem Rat zu suchen, der nicht Wissen, sondern Erleuchtung verspricht? Buddha. Genau, das freundliche Dickerchen, das immer so fröhlich vor sich hinmeditiert. Lesen Sie also hier meine buddhistisch inspirierten Weisheiten, die Ihnen den Erziehungsalltag erleichtern werden.
1. Gelassenheit: „Lerne loszulassen. Das ist der Weg zum Glück.“
Im Buddhismus zählt Gelassenheit, die Upeksha, zu den vier himmlischen Verweilzuständen. Ein Zustand, der nicht einfach zu erreichen ist, und sicherlich legt auch Ihr Kind Ihnen täglich eine Prüfung in Gelassenheit auf. Morgens trödelt es trotz mehrfacher Ermahnungen so lange rum, bis Sie zu spät zur Arbeit kommen, mittags macht es Theater wegen der Hausaufgaben, später weigert es sich, sein Zimmer aufzuräumen, beim Abendbrot findet es, dass alles nach „Kacka“ schmeckt, und vor dem Schlafengehen bricht im Badezimmer die Apokalypse aus, weil die Zähne geputzt werden sollen. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der Sie so auf die Palme bringen kann wie Ihr eigenes Kind. (Außer Sie sind Choleriker und rasten mehrmals am Tag aus. Dann bringt Sie jeder Mensch auf die Palme.)
Wenn Ihr Kind trödelt, trotzt, rebelliert und eskaliert, hilft es aber nichts, wenn Sie explodieren. Stattdessen müssen Sie sich in Gelassenheit üben. Das Problem: Die wenigsten von uns sind in solchen Momenten jedoch tiefenentspannt genug, um gelassen zu bleiben. Das ist aber nicht weiter schlimm. Engagieren Sie einfach einen buddhistischen Zen-Mönch als Nanny. Der weckt morgens das Kind und hilft ihm beim Anziehen, macht nachmittags mit ihm Hausaufgaben, später räumt er mit ihm das Kinderzimmer auf, vor dem Zubettgehen überwacht er das Zähneputzen und anschließend bringt er das Kind ins Bett.
Währenddessen erreichen Sie einen der himmlischen Verweilzustände gestresster Eltern: Sie sitzen gemütlich auf dem Sofa und schauen Netflix.
2. Empathie: „Wenn Probleme auftauchen, erfahrt und erlebt diese mit Mitgefühl.“
Im Buddhismus ist Mitgefühl, das Karuna, eine der „Vier unermesslichen Geisteshaltungen“. Als Eltern brauchen wir besonders viel davon und das ist häufig sehr herausfordernd.
Es ist nicht besonders schwer, sein Kind zu lieben, wenn es fröhlich lachend auf Sie zugerannt kommt, friedlich mit seinen Stofftieren spielt oder wie ein Engelchen schlummert. Wälzt sich ihr Kind dagegen im Supermarkt vor dem Zeitschriftenregal auf dem Boden herum und kreischt dabei so schrill, dass der älteren Dame an Kasse 4 die Brillengläser zerspringen, ist das mit der Elternliebe nicht ganz so einfach.
Genau in diesen Situationen ist ihr Mitgefühl gefordert. Schließlich macht Ihr Kind das nicht, um Sie zu ärgern oder weil das dolle viel Spaß macht, sondern weil es nicht weiß, wohin mit sich und seinen Emotionen. Dort müssen Sie dann empathisch sein, so schwer das auch fallen mag.
Für solche schweren Fälle kennt der Buddhismus die Meditationstechnik des „Tongelns“, bei der das Leid des Anderen eingeatmet und Mitgefühl ausgesendet wird. Probieren Sie das einfach das nächste Mal aus, wenn Ihr Kind im Supermarkt eskaliert. Okay, eventuell endet Ihr Tongeln damit, dass Sie sich selbst auf dem Boden herumwälzen und Hausverbot erteilt bekommen, aber wenigstens sind Sie auf dem Weg der erleuchteten Elternschaft einen Schritt weitergekommen.
Wenn das mit dem Tongeln nicht so recht funktionieren will, richten Sie Ihren Blick in die Ferne: Im Moment ist so ein kindlicher Tobsuchtsanfall zwar eher unangenehm, aber in ein paar Jahren ist das eine sehr lustige Story. (Außer für die ältere Dame von Kasse 4, die 500 Euro für neue Gleitsicht-Brillengläser inklusive UV-Filter, Superentspiegelung und Hartschicht-Veredelung bezahlen musste. Für die ist das eine ziemlich beschissene Story.)
3. Mitfreude: „Das Merkmal der Mitfreude besteht im sich freuen mit den Wesen.“
Mudita, die Mitfreude, ist eine weitere der „Vier unermesslichen Geisteshaltungen“ im Buddhismus. Da denken Sie sich jetzt vielleicht: „Na, das ist ja nicht schwer mit dieser Mitfreude. Ich habe mich erst gestern dolle mit meinem Kind gefreut, als es das erste Mal alleine Fahrrad gefahren ist.“
Da haben Sie zwar recht, aber die Mitfreude ist – ähnlich wie das Mitgefühl – besonders in Situationen gefragt, wenn sie einen nicht gerade anspringt. Zum Beispiel wenn Ihr Kind den gerade frisch abgezogenen Dielenboden im Wohnzimmer großflächig mit schwarzem Edding vollgekritzelt hat.
Falls Sie die buddhistische Gelassenheit noch nicht ganz verinnerlicht haben, ist Ihr erster Impuls wahrscheinlich, einen Kreuzbrüller loszulassen. Das sollten Sie aber nicht, denn Ihr Kind ist bestimmt wahnsinnig stolz darauf, dass es den Fußboden so toll verschönert hat. Da wäre es geradezu schäbig von Ihnen, wenn Sie deswegen jetzt rumschreien und damit für immer die Kreativität und Spontaneität Ihres Kindes zerstören.
Indem Sie sich stattdessen über das Glück Ihres Kindes freuen, werden Sie selbst dauerhaftes innerliches Glück empfinden. (Außer wenn Sie das komplette Wohnzimmer ausräumen und den Fußboden mühselig abschleifen müssen. Da werden Sie innerlich nicht ganz so glücklich sein.)
4. Mitmenschlichkeit: „Was da für mich eine unliebe und unangenehme Sache ist, wie könnte ich das einem andere aufladen?“
Wie in fast allen Religionen gibt es auch im Buddhismus eine Form der so genannten „Goldenen Regel“, die auf der Gegenseitigkeit menschlichen Handelns beruht. Im Volksmund heißt das dann: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu.“ Oder positiv formuliert: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Oder noch einfacher und derber: „Sei kein Arschloch.“
Was den Buddhisten recht ist, kann Ihnen für die Erziehung nur billig sein. Versetzen Sie sich also in Ihr Kind und laden Sie ihm keine Sache auf, die Ihnen unlieb und unangenehm ist. Möchten Sie beispielsweise von einem fünf Meter großen Riesen angebrüllt und genötigt werden, grüne Bohnen zu essen? Wahrscheinlich nicht. (Außer Sie essen gerne Bohnen. Dann finden Sie das nicht schlimm.)
Weil einem die Mitmenschlichkeit nicht immer so leicht von der Hand gehen will, gibt es im Buddhismus die Metta-Meditation, die das Ziel verfolgt, eine liebevolle, wohlwollende Haltung gegenüber der Welt und allen fühlenden Wesen einzunehmen. Allerdings ist diese Form der Meditation recht zeitaufwändig und wird häufig in mehrstündigen Retreats praktiziert. Dafür werden Sie aber feststellen, dass in diesen meditativen Stunden die Erziehung Ihres Kindes vollkommen problemlos und spannungsfrei ist. (Ihr Partner oder Ihre Partnerin sieht das womöglich anders.)
5. Gleichgültigkeit: „Tu was du willst, aber nicht, weil du musst.“
Zugegebenermaßen ist Gleichgültigkeit keine buddhistische Tugend, für Eltern ist sie aber dennoch essenziell. Selbstverständlich nicht gegenüber Ihren Kindern. Da sollen Sie immer Interesse zeigen und ein offenes Ohr haben. (Außer Ihr Kind zählt Ihnen alle 807 Pokémon mit ihren Skills und Kategorien auf. Dann dürfen Sie einen dringenden geschäftlichen Anruf vortäuschen.)
Gegenüber anderen Eltern oder Kinderlosen, die Ihnen unerwünschte Erziehungstipps geben, dürfen Sie aber durchaus gleichgültig sein. Denn jede Familie hat ihre eigenen Regeln und Rituale, die bei allen Familienmitgliedern funktionieren, und da müssen Sie sich von niemandem reinreden lassen.
Wenn Sie zum Beispiel jeden Morgen Ihrem Kind die Klobrille warmföhnen, damit es sich wohl fühlt, wodurch alle einen guten Start in den Tag haben, dann scheren Sie sich nicht darum, dass irgendwelche Vollpfosten sagen, Sie verwöhnen das Kind zu sehr und sie müssen es besser auf die Härten des Lebens – und auf kühle Klobrillen – vorbereiten. „Tu, was du willst, aber nicht, weil du es musst.“ Oder unbuddhistisch ausgedrückt: „Einen Scheiß muss ich!“
Der „Einen Scheiß muss ich!“-Ansatz ist sehr befreiend, allerdings müssen Sie ihn auch anderen Eltern zugestehen. Haben Sie beispielsweise für sich entschieden, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Kind im Familienbett schlafen wollen, bis es nicht mehr schulpflichtig ist, dann machen Sie das. Aber versuchen Sie nicht, andere Eltern, die ihr Kind vom Säuglingsalter an ins eigene Bettchen im Kinderzimmer gebracht haben, davon zu überzeugen, sie müssten ebenfalls das Familienbett als eierlegende Wollmilchsau der Schlafsituationen einführen. Einen Scheiß müssen die!
Enden lassen möchte ich meine buddhistischen Reflexionen über Erziehung mit dem weisesten aller buddhistischen Ratschläge:
„Nun vergesst alles, was ich euch gesagt habe, und findet es selbst heraus.“
Am besten schauen Sie sich dazu mal die Übersicht zu Erziehungsratgebern des Vereins „Bindungsträume“ an. Da finden Sie sicherlich Erleuchtung.
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Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel „Nackte Kanone“ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog „Familienbetrieb“, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Am 17. Oktober ist sein neues Buch „Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit“ im Seitenstraßen Verlag erschienen.
Im Netz
Eine Kolumne von Christian Hanne, Blog Familienbetrieb.
Als bloggender Vater werde ich häufig gefragt, ob Väter anders erziehen als Mütter. Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Glücklicherweise habe ich mit der Geburt meiner Tochter eine seit dreizehn Jahren andauernde Feldstudie in Kitas, Sportvereinen, Schulen und auf Spielplätzen gestartet, bei der ich Väter in ihrem natürlichen Lebensraum beobachte. Dabei ist es mir gelungen, basierend auf den neuesten Erkenntnissen der europäischen Ethnologie, der Geschlechtersoziologie und der Sozialpsychologie, verschiedene Vätertypen zu identifizieren, von denen ich Ihnen die interessantesten im Folgenden vorstellen möchte.
Der Macho-Daddy
Vor der Geburt hat der Macho-Daddy seine Figur beim Crossfit gestählt, seine Grill-Künste durch ein “BEEF”-Abonnement perfektioniert und versucht, als Pick-up-Artist Frauen aufzureißen. Nach der Geburt treibt ihn die Angst um, seine Männlichkeit könnte unter der Vaterrolle leiden. Um zu zeigen, dass er kein Weichei ist, überkompensiert er ständig. Er kleidet das Baby in Iron-Maiden-Bodys, rüstet den Kinderwagen mit einem Raketenantrieb auf und lässt sich den Namen des Kindes auf die Fingerknöchel tätowieren.
Der Macho-Daddy nimmt zwei Monate Elternzeit und fährt mit der Familie nach Südostasien. Dort widmet er sich dem Scuba Diving und Jetski-Fahren, die Mutter kümmert sich derweil um das Kind. Nach der Rückkehr erzählt er seinen Kumpels, wie wichtig die Elternzeit für die Bindung zu seinem Kind war.
Der Erziehungsstil des Macho-Daddys ist kumpelhaft und kommt ohne Verbote aus. Wenn das Kind im Supermarkt brüllend vor dem Süßigkeitenregal liegt, kauft ihm der Macho-Daddy eine Tafel-Schokolade. Und den Millenium-Falken von Lego.
Der Macho-Daddy träumt davon, dass sein Sohn 2040 den WM-Pokal in die Höhe hebt. Dagegen ist es für ihn ein Albtraum, der Sohn könnte unsportlich sein. Oder Balletttänzer werden.
Der Karriere-Dad
Der Karriere-Dad bekommt nur Nachwuchs, weil seine persönliche Zielvereinbarung vorsieht, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen und ein Kind zu zeugen. Der Care-Arbeit verweigert er sich mit evolutionären Argumenten. Da früher die Neandertaler-Männchen Mammuts jagten, sieht er sich außerstande, Windeln zu wechseln.
Elternzeit nimmt der Karriere-Dad nicht, da er Angst hat, die Kollegen stellen in seiner Abwesenheit fest, dass er entbehrlich ist und ein dressierter Schimpanse seine Aufgaben wesentlich effizienter erledigen könnte.
Mit seinem Kind verbringt der Karriere-Dad nur sehr wenig Zeit. Ab und an liest er ihm abends aus dem Handelsblatt vor.
Der Erziehungsstil des Karriere-Dads ist opportunistisch-kapitalistisch. Wenn das Kind im Supermarkt brüllend vor dem Süßigkeitenregal liegt, kauft der Karriere-Dad keine Schokolade, sondern erwirbt Aktien von Süßigkeiten produzierenden Konzernen, um aus der Naschsucht von Kindern Profit zu schlagen.
Es ist der Traum des Karriere-Dads, dass sein Sohn einmal CEO eines Dax-Unternehmens wird. Oder seine Tochter den CEO eines Dax-Unternehmens heiratet. Unerträglich ist für ihn die Vorstellung, sein Kind könnte Sozialpädagogik studieren. Oder Gewerkschaftsführer werden.
Der feministische Bio-Papa
Der feministische Bio-Papa strebt nach absoluter Gleichberechtigung in seiner Partnerschaft und der Kindererziehung. Dies führt zu Konflikten mit der Kindsmutter, weil er es ihr übelnimmt, dass sie das Baby ausgetragen hat und nicht er.
Der feministische Bio-Papa nimmt zwölf Monate Elternzeit und verachtet alle Väter, die es ihm nicht gleichtun, als reaktionäre Stützen des Patriarchats. Nach der Elternzeit kündigt der Bio-Papa seinen Job und wird Hausmann. Dabei perfektioniert er seine veganen Kochkünste. Die Mangelernährungserscheinungen des Kindes lässt er beim Schamanen homöopathisch behandeln.
Der Erziehungsstil des feministischen Bio-Papas ist antiautoritär. Alle Entscheidungen in der Familie werden basisdemokratisch getroffen. Dass dieses Modell seine Schwächen hat, bemerkt der feministische Bio-Papa erst nach dem dritten Kind, wenn er und seine Partnerin bei allen Entscheidungen von den Kindern überstimmt werden.
Der feministische Bio-Vater träumt davon, als Dadpreneur zum Haushaltseinkommen beizutragen. Dazu gründet er den Online-Shop “Filz-Laus”, über den er selbstgefilzte Windeln vertreibt. Sein größter Albtraum ist die Vorstellung, dass seine Kinder mit Spielzeugwaffen aus Plastik spielen.
Der Trans-Papa
Der Typus des Trans-Papas ist zugegebenermaßen im Vergleich zu den anderen Väter-Typen nicht so weit verbreitet, aber umso wichtiger ist es, ihn hier vorzustellen. Trans Papas sind – grob vereinfacht ausgedrückt – Menschen, die sich nicht dem ihnen zugeordneten Geschlecht zugehörig fühlen. Somit können Trans-Papas Männer sein, die mit einem weiblichen Körper zur Welt kamen, aber auch Frauen, die mit männlichen Genitalien geboren wurden. Dies stellt andere Eltern mitunter vor die kommunikative Herausforderung, dass sie nicht wissen, wie sie Trans-Papas bezeichnen sollen. Als Mutter, Vater, Vutter oder Matter.
Der feministische Bio-Papa sucht gerne die Nähe zu Trans-Papas, um dadurch seine Weltoffenheit zu demonstrieren. Dies stößt nicht nur auf Gegenliebe, da Trans-Papas auch nicht uneingeschränkt leidensfähig sind.
Andere Mütter betrachten Trans-Papas, die als Frau leben, mit einer gewissen Missgunst, denn Trans-Papas sind meistens besser gekleidet. Außerdem können sie ihrem Kind beibringen, wie man einen Ball wirft, woran andere Mütter scheitern. (Ich freue mich schon sehr über die Zuschriften, die mich ob dieser progressiven Sichtweise beglückwünschen.)
Der Erziehungsstil der Trans-Papas ist gemeinhin verständnisvoll. Allerdings stößt dieses Verständnis an Grenzen, wenn das Kind im Supermarkt brüllend vor dem Süßigkeitenregal liegt. Von anderen Vätern ist hier leider keine Hilfe zu erwarten. (Von anderen Müttern übrigens auch nicht.)
Es ist der Traum von Trans-Papas, dass das Kind nicht gefragt wird, ob es schlimm ist, ohne ‚richtigen‘ Papa aufzuwachsen. Dagegen ist es ihr Albtraum, dass Kind könnte eines Tages CSU-Kreisvorsitzender werden.
Der intellektuelle Bildungsbürger-Vater
Dass der intellektuelle Bildungsbürger-Vater überhaupt Nachwuchs hat, grenzt an ein Wunder, denn als promovierter Geisteswissenschaftler zählt die Erledigung von Alltagsverrichtungen wie Einkaufen, Kochen oder Geschlechtsverkehr nicht zu seinen Stärken. Deswegen ist es auch unwahrscheinlich, dass er mehr als ein Kind haben wird. Prinzipiell würde er gerne Elternzeit nehmen, scheitert aber am Ausfüllen des 17-seitigen Elterngeld-Antrags in dreifacher Ausfertigung.
Der Erziehungsstil des intellektuellen Bildungsbürger-Vaters ist rational-diskursiv. Wenn sich das Kind im Supermarkt schreiend vor dem Süßigkeitenregal wälzt, diskutiert er mit ihm nach den Regeln der aristotelischen Diskursethik, warum er nicht gedenkt, eine Tafel Schokolade zu erwerben. Abends liest er dem Kind dann aus Sartres “Die Transzendenz des Ego” vor.
Der intellektuelle Bildungsbürger-Vater würde sich von seinem Kind gerne als ‚Herr Vater‘ anreden lassen. Dies scheitert an einer ausgeprägten T-K-Schwäche des Kindes, so dass die Anrede immer wie ‚Herr Facker‘ klingt.
Es ist der Traum des intellektuellen Bildungsbürger-Vaters, dass sein Kind einmal den Literaturnobelpreis verliehen bekommt. Dagegen ist es für ihn ein Horrorszenario, dass sein Sohn 2040 den WM-Pokal in die Höhe hebt.
Ich hoffe, diese Ausführungen beantworten die Ausgangsfrage, ob Väter anders als Mütter erziehen. Ja, tun sie. Und Väter erziehen anders als Väter. Und Mütter anders als Mütter.
Vielen Dank an Nina von ‘Frau Papa’ für ihren hilfreichen Input.
Weitere Kolumnen von Christian Hanne hier im ELTERN! Magazin:
Kolumne von Eltern für Eltern
Im Wechsel schreiben Blogger und Journalisten über Themen, die Eltern bewegen. Lesen Sie hier Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens. Alle Kolumnen ansehen.
Über den Autor Christian Hanne
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel von Ephraim Kishon gelesen und zu viel ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten schreibt er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.
06.07.2015, Kolumne “Die Elternflüsterer”
Buh! Schreckwort gefällig? Bitteschön: Lehrer!
Liebe Eltern, ich weiß Bescheid. Ich habe selbst mal Schulen gegründet. Wie viele Freunde von mir sind mir da plötzlich mit ernster Miene näher gerückt und haben mich mit gesenkter Stimme eingeweiht: “Ganz ehrlich? Ich mag keine Lehrer!” Autsch.
Wenn Sie jetzt tief in Ihnen auch diese Abneigung oder auch nur ein leichtes Unbehagen verspüren, haben Sie ein Problem. Denn wichtige Forscher haben herausbekommen, dass Kinder und Jugendliche eigentlich die besten Lernergebnisse erzielen, wenn ihr Beziehungsdreieck mit Eltern und Lehrern im Einklang ist!
Und Doppel-Autsch: Möglicherweise beruht das Unbehagen auf Gegenseitigkeit. Im Lehrerstudium in Deutschland wird zwar Fachliches und Didaktisches recht ordentlich vermittelt, aber wenig zum Thema “Parent-Management” – so wie zum Beispiel in Kanada oder Australien. Dort ist es Teil der Ausbildung, zu wissen, dass man “separated by a common goal” ist – “getrennt von einem gemeinsamen Ziel”. Dieses Ziel ist das Wohl und die Entwicklung des Kindes. Beide wollen es erreichen, beide meinen, besser zu wissen, wie das funktionieren kann. Kanadische und australische Lehrer lernen, wie man sich bei diesem “wie” einigt. Unsere Lehrer hierzulande oft nicht.
Aber Jammern hilft nicht! Die Beziehung zwischen Eltern und Lehrern gehört verbessert. Sie müssen zusammen an einem Strang ziehen. Sie sind keine Feinde. Und da ich für Sie, liebe Eltern, hier flüstere, gibt es nun meine besten Tipps, wie Sie Ihren Teil dazu beitragen:
5 Tipps für eine gute Beziehung zwischen Eltern und Lehrern …
… wenn Sie diese beherzigen, geben Sie sich schon bald ein High five!
Tipp 1: Erstmal lächeln
… und freundlich winken (würden jetzt die Madagaskar-Pinguine sagen …). Selbst wenn Ihnen das völlig Banane vorkommt. Signalisieren Sie von Anfang an, dass Sie in Frieden und guter Laune kommen. Es hilft, und zwar bei jeder Begegnung zwischen Eltern und Lehrern in der Schule, auch wenn es einmal nichts zum Lächeln gibt. Trotzdem!
Tipp 2: Kennenlernen, richtig kennenlernen
Geben Sie sich etwas Mühe, den Menschen zu verstehen, der da mit Ihrem Kind nahezu tagtäglich zu tun hat. Was mag er oder sie gern? Worüber spricht er oder sie mit Begeisterung? Finden Sie es heraus – allerdings zum richtigen Zeitpunkt: Morgens kurz vorm Schulstart ist es nicht so gut, dieser Recherche nachzugehen und die gute Frau oder den guten Mann aufzuhalten.
Bessere Gelegenheiten sind Schulfeste und andere, lockere Zusammenkünfte. Übrigens, nicht alle Lehrer machen gern Hausbesuche – aber diejenigen, die meine Einladungen mal angenommen haben, wurden zu richtigen Vertrauenspersonen.
Tipp 3: Etwas nett finden, auch wenn Sie nicht alles nett finden
Nicht mit jedem Lehrer findet man als Eltern eine gemeinsame Wellenlänge. Mir hat es immer geholfen, etwas Liebenswertes an jedem Menschen zu finden. So auch an den Lehrern meines Kindes: Eine bestimmte Art, Dinge auszudrücken, ein sympathischer Blick … meistens konnte mir meine Tochter immer etwas Nettes mitgeben!
Tipp 4: Fragen, nicht ansagen
Klar, Sie kennen Ihr Kind am besten, und würden allen Lehrern am liebsten eine minutiöse Gebrauchsanweisung mitgeben, wie Sie mit dem höchstbegabtesten, liebsten, kleinen Menschen der Welt umzugehen haben – damit es ihm immer gutgeht und er ideal gefördert wird. Sehen Sie es endlich ein, dass der höchstbegabteste, liebste, kleine Mensch der Welt möglicherweise ganz andere Umgangweisen und Vorlieben in der Schule hat, als Sie zu Hause beobachten können. Fragen Sie den Lehrer danach!
Und übrigens, wenn Sie davon nicht ganz überrascht werden wollen, fragen Sie erstmal den emphatischsten, kleinen Menschen Ihrer Welt: “Was glaubst du, wird mir dein Lehrer über dich erzählen, wenn ich ihn danach frage?” Kinder haben da meistens eine gesunde Einschätzung, die sie möglicherweise aber nur nach Herausgabe des Lieblingseises so richtig darlegen würden.
Tipp 5: Mal was für die Klasse organisieren
Lehrer freuen sich, wenn sie Unterstützung von Eltern bekommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass nicht jedes Elternteil (zum Beispiel ich!) für Aufgaben wie Elternsprecher oder Kassenwart gemacht ist.
Trotzdem habe ich immer geschaut, dass ich wenigstens einmal im Schulhalbjahr etwas punktuell und fokussiert eingebracht habe, was ich wirklich gut kann – idealerweise nur an einem Tag. Ich war immer ein guter Networker und habe mich deshalb zum Beispiel für das Sponsoring eingesetzt – einmal zum Adventstee oder Weihnachtskonzert, einmal zum Sommerfest. Das hat mir gute Sympathiepunkte bei den Lehrern eingebracht. Und war deutlich cooler als das Elternsprecherdasein.
Das wären meine Tipps für den Aufbau einer guten Beziehung zwischen Eltern und Lehrern – ohne Vollständigkeitsanspruch. Wenn Sie allerdings noch zusätzliche Anregungen haben, freue ich mich sehr über Kommentare hier unten.
Über Béa Beste
Bildungsunternehmerin
© Béa Beste
Béa Beste ist Bildungsunternehmerin und Mutter einer großen Tochter, die sich schon im Studium befindet. Im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin plädierte Béa Beste als Expertin im Bereich „Wie wollen wir lernen?“ für eine Lernkultur der Potenzialentfaltung und mehr Heiterkeit in der Bildung. Béa gründete 2006 die bilingualen Phorms Schulen. Nach sechs Jahren als CEO ging sie 2011 auf Bildungsexpedition durch Indien, Australien, Indonesien und die USA. Inspiriert von internationalen Bildungsinnovationen entwickelte sie das Playducation Konzept: Was wäre, wenn sich Lernen wie Spielen anfühlt? Leider setzte sich das Produkt, die monatliche Tollabox mit Materialien und Ideen für Familien mit Kindern ab drei Jahren, nicht am Markt durch, sodass Béa derzeit neue Ideen entwickelt, um das Konzept digital umzusetzen. Sie führt den Kreativ-Blog der Tollabox als ‘Tollabea’ weiter.
Twitter: @TOLLABEA | twitter.com/TOLLABEA
Die Kolumne “Die Elternflüsterer”
Im Wechsel flüstern der Journalist Christian Füller und Bildungsunternehmerin Béa Beste den Eltern Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens ins Ohr.
Wissensdurst noch nicht gestillt? Im #scoyolo-Podcast dreht sich alles um „Lernen mit Leichtigkeit” – voller Anregungen, Tipps und alle zwei Wochen neu! Jetzt gleich reinhören:
31.08.2015, Kolumne “Die Elternflüsterer” von Christian Füller
Wie Eltern mit dem Thema Kinder und Computerspiele umgehen können
Neulich im Biergarten höre ich meinen Freund Leonard sagen: „Hey, wir üben ein bisschen und dann zeigen wir es den Jungs mal so richtig bei FIFA15!“ Er meinte es tatsächlich so. Dass wir uns ein Stündchen vor Konsole oder Rechner warm machen sollten – um dann ein Chance beim Computer-Fußball mit den Söhnen zu haben.
Der Ansatz ist interessant. Sehr partizipativ und auf Augenhöhe. Man verbietet das Computergame nicht einfach oder verteufelt es gar, nein, man spielt es mit den Teenies. Allein, die Realität ist eine andere: Wenn Sie schon ein bisschen was mit der Konsole können, wenn Sie die ersten Ausgaben von „GTA“ erlebt haben, ok. Wenn nicht, hören Sie auf zu träumen.
Lassen Sie die Finger von Computergames. Um Ihre Söhne zu schlagen, brauchen Sie ein intensives vierwöchiges Trainingslager. Wer den Zeitfresser Games eindämmen will, der sollte andere Methoden wählen.
Computerspiele sind elternfreie Zone
Ich freue mich immer, wenn meine Mitflüstererin Béa die Welt durch die rosa Brille betrachtet (hier geht es zu ihrer Kolumne). Bei Games hat sie nur an einer einzigen Stelle recht. Die Games sind nunmal da, sie gehen nicht wieder weg.
Aber das heißt nicht, dass es damit getan wäre, Computerspiele gleich „superdoll“ zu finden. Games stumpf zu verbieten oder ausrotten zu wollen, ist natürlich Käse. Wer könnte schon eine Industrie, die mehr Umsatz macht als Hollywood, erfolgreich negieren? Aber das mit den Games einfach laufen zu lassen, das ist eben auch keine Lösung.
Béa meint, man solle mit seinen Kindern über die Zockerei reden. Oder gar neunmalkluge Fragen stellen wie: „Weißt du, wer die Spielemacher sind? Sind das coole Socken?“ Wer sich vor seinen – älteren – Kindern lächerlich machen will, der soll das gerne tun. Wer aber einen Funken Selbstachtung hat, der wird das sein lassen. Wer, bitteschön, fragt seine 15jährigen Kinder, ob er mit zu ihrer Party gehen kann? Oder: Wie viel muss man geraucht haben, um zu fragen, „ob da coole Socken waren“?
Wieso stelle ich diesen Vergleich an? Weil ich glaube, dass Jugendliche das Recht auf Freiräume haben, in denen sie gerade NICHT mit ihren Eltern kommunizieren, von ihnen belehrt oder auch nur beobachtet werden. Games zählen dazu genau wie die Party oder die Facebook-Community.
Etwas Kontrolle sollte es dann aber doch sein …
Das heißt selbstverständlich nicht, dass Games ein Selbstläufer sein sollten oder dass es da keine Gefahren gäbe, auf die Eltern achten sollten. Ganz im Gegenteil: Die Gamerei ist geeignet, die lerntechnisch wichtigste Phase unserer Kinder im Wortsinne zu verballern, sie süchtig zu machen und sie – bei den Online-Varianten – Mitspielern auszusetzen, mit denen sie im realen Leben niemals in Kontakt treten würden. Wir übrigens auch nicht.
Bei den Games lernten die Kinder so unheimlich viel, heißt es. Räumliches Vorstellungsvermögen, Reaktionsfähigkeit und so weiter würden besser. Angeblich steigert Computerspielen sogar den IQ. Ich kenne ein paar von diesen Studien und kann nur raten: Schauen Sie sich an, wer sie erstellt hat, dann wissen Sie, warum die Ergebnisse so ausfallen, wie sie ausfallen. Die Gameindustrie ist nicht nur erfolgreich, sie ist genauso einseitig wie jede andere mächtige Industrie: Sie lässt sich viel einfallen, um ihre Produkte an das Kind zu bringen, am besten exklusiv und teuer.
Der letzte Schrei ist die so genannte Gamification. Computerspiele sollen Einzug in die Schulen halten, um dort das Lernen interessanter zu machen. Dazu gerne beim nächsten Mal mehr.
Und was lernen wir jetzt daraus?
Was tun, fragen Sie zurecht. Die Lösung ist so simpel wie der Beginn eines Computerspiels: Bei Games gilt die Grundregel „weniger ist mehr“. Und: „je später desto besser“. Wenden Sie Béas Mitspiel- und Sprechangebote gerne an, sobald ihre Kinder in die Grundschule kommen. Vorher sollten sie ihren Kindern am besten gar nicht an Computerspiele heran lassen.
Halten Sie die Spielzeiten, wenn es losgeht, so kurz, wie eben nur möglich. Seien sie immer der Herr des W-Lans zu Hause. Wenn´s kritisch wird: Stecker ziehen – und zwar bevor, die Spieledaten ihres Filius gespeichert sind. Machen Sie sich nicht zum Sklaven eines herunterfahrenden Progamms. Wer dreimal angekündigt hat, dass in 10, 5, 2, Minuten Schluss ist, der muss dann auch Exit wählen.
Sie werden sehen, dass es danach etwas gibt, was der Schlüssel für Erziehung ist: Gesprächsbedarf – bei ihren Kindern.
Mein Freund Leonard hat übrigens den Versuch gewagt und sich in ein „Fifa15-Turnier“ mit meinen Söhnen gestürzt. Er hat schwer auf die Mütze bekommen. Er war sehr frustriert und hat sich dann von mir zu einer Alternative überreden lassen. Echtes Fußballspielen mit einem richtigen Ball: Dort ist der Dopamin-Ausstoß zigmal höher. Und die Jungs waren total happy – dass sie inzwischen auf Augenhöhe sind.
Über Christian Füller
Christian Füller ist Journalist (u.a. FAS, Spiegel Online und Freitag) und Autor diverser Bücher über gute Schule und neues Lernen. Er hat sich dabei auch mit Eltern auseinandergesetzt. In „Ausweg Privatschulen“ (2010) gibt er Hinweise, welche private Schule sich lohnen könnte. In „Die Gute Schule“ (2009) analysiert er, warum Eltern so wahnsinnig wichtig fürs Lernen sind. Füller hat mit Jesper Juul über Eltern gestritten, die ihre Kinder immerzu nach ihrem Befinden befragen. Er hat bei Spiegel Online als ihr wichtigstes Prinzip „my kind first“ ausgemacht. Füller hat selbst zwei Kinder und hassliebt es immer noch, Elternvertreter zu sein.
Twitter: @ciffi | twitter.com/ciffi
Die Kolumne “Die Elternflüsterer”
Im Wechsel flüstern der Journalist Christian Füller und Bildungsunternehmerin Béa Beste den Eltern Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens ins Ohr.
“Hooray, hooray, it’s a holi-holiday,
What a world of fun for everyone, holi-holiday,
Hooray, hooray, it’s a holi-holiday,
Sing a summer song, skip along, holi-holiday,
It’s a holi-holiday!”
Mit diesen gleichermaßen fröhlichen wie schlichten Zeilen huldigte die notorische Disco-Combo Boney M. 1979 dem Konzept des Urlaubs. Insbesondere die Zeile “What a world of fun for everyone”, die der Urlaub angeblich ist, lässt vermuten, dass die Band-Mitglieder allesamt kinderlos waren. (Und die Einstiegszeile “Digge ding ding ding digge digge ding ding” lässt vermuten, dass der Texter ein wenig zu häufig am Klebstoff geschnüffelt hat. Aber das nur am Rande.)
Als Eltern kennen Sie das bestimmt: Am Anfang des Urlaubs denken Sie, wie schön es doch ist, abseits der Alltagshektik den ganzen Tag viel Zeit mit den Kindern verbringen zu können. Irgendwann – und wahrscheinlich sehr schnell – merken Sie, dass die Kinder ganz eigene Vorstellungen davon haben, was Erholung, Entspannung und Freizeitgestaltung im Urlaub angeht und dass es ziemlich stressig ist, den ganzen Tag viel Zeit mit den Kindern verbringen zu müssen.
Deshalb sollten Sie ganz genau überlegen, wohin Sie mit der Familie verreisen, wie Sie dort hinkommen und wo Sie wohnen werden. Alles Faktoren, die einen sehr großen Einfluss darauf haben, wie harmonisch Ihr Familienurlaub verlaufen wird. Hilfsbereit wie ich bin, gebe ich Ihnen gerne ein paar Hinweise, was Sie da alles bedenken sollten.
Das Urlaubsziel
Chillfaktor am Meer = Null
Kleine Kinder beschäftigen sich beispielsweise allenfalls für eine Zeitspanne von 2,7 Sekunden alleine. Danach verlangen sie geradezu herrisch von Ihnen, dass Sie stundenlang gemeinsam Sandburgen bauen, in kleinen Eimern Wasser aus dem Meer holen oder Muscheln und anderen Unrat am Strand sammeln. Am Ende des Urlaubs stehen Sie kurz vorm Burn-out und sehnen sich nach 12-Stunden-Arbeitstagen im Büro.
Sind Ihre Kinder schon im Teenager-Alter, werden diese Sie am Strand tatsächlich in Ruhe lassen. In erster Linie, weil sie von Ihnen in Ruhe gelassen werden wollen. Freuen Sie sich darüber aber nicht zu früh, denn Sie sollten ständig ein Auge auf Ihre pubertäre, mit Hormonen vollgepumpte Brut haben, damit sie nicht mit der örtlichen Strandjugend anbandelt, es zum zwanglosen und ungeschützten Austausch von Körperflüssigkeiten kommt (“And what else we’ll do is up to you – heydiheydihoh!”) und Sie neun Monate später ein bleibendes Urlaubs-Souvenir haben.
Der Berg ruft. Hören Sie weg!
Das ist natürlich ein totaler Irrglaube, denn Ihre Kinder haben selbstverständlich viel mehr Energie als Sie. Die einzigen, die von der vielen frischen Luft kaputt sein werden, sind Sie. Im schlimmsten Fall legen die Kinder um 17 Uhr einen kleinen Power-Nap ein und dann gibt es bis um 2 Uhr morgens Rambazamba. “On a carousel the dingdong bell – heydiheydihoh!” Schönen Dank auch, Boney M.!
Summer in the city. Really?
Möglicherweise halten Sie es für eine bessere Idee, einen Städteurlaub zu machen. Da gibt es auch ein wenig Kultur und Bildung und Sie können mit Ihren Kindern Ausstellungen und Museen besuchen. Das ist aber eigentlich nur empfehlenswert, wenn Sie besondere Freude an missgelaunten und bockigen Kindern haben. Dann könnten Sie aber auch gleich zuhause bleiben und mit Ihren Kindern unregelmäßige französische Verben üben.
Ohnehin können Ausstellungs- und Museumsbesuche ein recht kostspieliges Vergnügen sein. Damit meine ich nicht die horrenden Eintrittspreise, sondern das Risiko, dass Ihre Kinder irgendeinen sündhaft teuren Ausstellungsgegenstand kaputt machen. Ganz nach dem Boney-M.-Motto: “Fun is the thing I’m after, now let’s a’live it up today!” Wenn Sie das jetzt als zu weit hergeholt und übervorsichtige Bedenkenträgerei abtun, googeln Sie einfach mal “Junge zerstört Skulptur”. Danach kommen Sie sicherlich zu dem Schluss, dass es daheim doch am schönsten ist.
Sie haben inzwischen bestimmt verstanden, dass die Wahl der richtigen Urlaubsdestination wie die Wahl zwischen Pest, Cholera und spanischer Grippe ist.
Die Anreise
Wir steh’n, steh’n, steh’n auf der Autobahn
Mit Kindern stundenlang im Auto eingepfercht zu sein, ist selbst für tiefenentspannte Zen-Mönche eine Tortur, wenn aber irgendwann der Proviant – und insbesondere Süßigkeiten und zuckerhaltige Brausegetränke – ausgeht und die Akkus der mobilen Endgeräte und des elektronischen Unterhaltungsspielzeugs unter die kritische 5%-Grenze rutschen, dann hat Mordor Wandertag und Sie wünschen sich, Sie hätten die Urlaubsfahrt nie angetreten.
Ich habe an anderer Stelle einmal kurz zusammengeschrieben, was Sie konkret noch dazu beitragen können, um die Autofahrt zur Reise im Harmony-Express zu verwandeln.
Eine Zugfahrt, die ist lustig!??
Ohnehin sollten Sie sich nur für eine Zugfahrt entscheiden, wenn Sie gerne in die finnische Dampfsauna gehen und Ihnen ausgefallene Klimaanlagen bei 35-Grad-Außentemperatur nichts ausmachen. Und Sie gerne mit Soziopathen und Menschen, deren Hygienevorstellungen stark von der sozial akzeptierten Norm abweichen, reisen. Aber wenn Sie Kinder im Teenager-Alter haben, sind Sie das ja gewohnt.
Über den Wolken, muss die Flugangst wohl grenzenlos sein
Nach diesem Fragefeuerwerk laufen in Ihrem Kopf unentwegt Horrorszenarien à la „Katastrophenflug 232“ ab und selbst als Mensch, der nicht unter panischer Flugangst leidet, werden Sie den Flug nur überstehen, indem Sie sämtlichen Alkohol aus dem Servier-Trolley der Flugbegleiterinnen in sich hineinschütten, bis in Ihrem Kopf Boney M. singen: “On the loop di loop we swing and swoop – heydiheydihoh!”
Sie haben inzwischen bestimmt verstanden, dass die Wahl des richtigen Urlaubstransportmittels wie die Wahl zwischen Kuhdung, Pferdeäpfeln und Hundekacke ist.
Die Unterkunft
Campen. Wenn Ihnen alles egal ist
Die Ferienwohnung. Wanderdüne mit vier Wänden
Da erscheint es möglicherweise ratsamer, eine Ferienwohnung zu buchen, die mehr Komfort verspricht. Dann müssen Sie auch nicht andauernd auf andere Camper Rücksicht nehmen, sondern können die ganze Zeit tun und lassen, was Sie wollen. Also, abgesehen von der Zeit, in der Sie kochen, putzen, aufräumen und Wäsche waschen müssen. Und Sand aus der Wohnung fegen. Bei einem Urlaub mit Kindern wird das gut 90 Prozent Ihres Tages in Anspruch nehmen. „What a world of fun for everyone, holi-holiday!“
All-inclusive Hotel. Die tägliche Kinderdisco-Hölle
Wenn Sie die permanenten Essensdiskussionen nicht abschrecken können, sollten Sie daran denken, dass der tägliche Höhepunkt in Club-Urlauben die abendliche Kinderdisco ist. Und weil die Kinder so schüchtern sind, müssen Sie immer gemeinsam mit ihnen auf die Tanzfläche gehen. Dass es den anderen Eltern genauso ergeht, macht es auch nicht besser, führt es Ihnen doch gnadenlos vor Augen, dass Sie sich gerade ebenfalls wie ein hüftsteifes Rhinozeros mit Sonnenbrand zu Kinderlied-Klassikern wie Das rote Pferd, Veo Veo und Aramsamsam bewegen.
Sie haben inzwischen bestimmt verstanden, dass die Wahl der richtigen Urlaubsunterkunft wie die Wahl zwischen Helene Fischer, Wolfgang Petry und den Flippers ist.
Die Lösung
Weitere Kolumnen von Christian Hanne hier im ELTERN! Magazin:
Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September 2016 ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.
Im Netz
“Mama, ich will nie wieder Brot!”, schreit mein Sohn begeistert, als er am Montagmorgen sieht, wie ich seine Frühstücks-Box für ein Foto drapiere. “Scheiße, was hast du nur getan”, schießt mir ein Gedankenblitz durch die müde Hirnrinde. Ich habe nämlich einen neuen Selbstversuch gestartet: Eine Woche lang mache ich dem Kleinen Bento-Boxen und probiere aus, was praktikabel UND lecker ist – und was nicht.
Bento? Nein, ich gebe meinem Kind kein Sushi zum Frühstück mit. Bento-Boxen waren ursprünglich simple japanische Essens-Boxen mit mehreren Fächern, gefüllt mit verschiedenen Speisen. Die Japaner mussten es aber mal wieder übertreiben und füllen sie mit kleinen Kunstwerken wie niedlichen Reis-Tierchen, Brot-Monstern und Obst-Figürchen. Die Amerikaner machten es nach, dann die Europäer. Und jetzt ich.
Warum ich mir das antue? Seit ein paar Wochen besucht der Knirps die Vorschule. Seitdem wünsche ich mir, ich hätte eine militärische Grundausbildung durchlaufen, dann wäre ich auf die vielen Herausforderungen zumindest etwas besser vorbereitet gewesen: Ich muss unmenschlich früh aufstehen und mich innerhalb kürzester Zeit anziehen, Frühstück und Kaffee herunterstürzen, das Kind antreiben, sich endlich fertig zu machen und dann im Laufschritt zackig zur Vorschule marschieren.
Für eine Herausforderung hätte mich aber auch die beste Militärakademie der Welt nicht gerüstet: Ich muss dem Kind nun jeden Tag ein ausgewogenes, gesundes und pädagogisch wertvolles Frühstück mitgeben. Und das soll dann auch noch schmecken. Einem Fünfjährigen.
Vorher hat die Kita mit ihrem Bio-Essensplan ganze Arbeit geleistet, ein komplexer Algorithmus aus neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und Angeboten des hiesigen Bio-Supermarkts. Wunderbar! Mein Gewissen war beruhigt, wenn es abends mal nichts “Ordentliches” gab. Und jetzt? Jetzt bin ich für die wichtigste Mahlzeit des Tages selbst verantwortlich. Tolle Wurst.
In den ersten Vorschul-Wochen bin ich vom frühen Aufstehen allerdings so gelähmt, dass ich außer Klappstullen und Studentenfutter nichts zustande bringe. Nachmittags darf ich dann die zerfledderten Brot-Leichen aus der Frühstücksbox puhlen.
Nachdem sich mein Körper an die unchristliche Aufstehzeit gewöhnt hat, schaltet sich mein Hirn wieder ein und meint, ich sollte dem Kind doch mal was Anständiges mitgeben. Was der auch isst. Gerne. Google-Bildersuche und Pinterest verzaubern sofort die Bastelmutti in mir. “Das kann ich auch!”, brüllt sie mit erhobenem Haupt. Let the Bento-Spiele begin.
Challenge accepted also. Für mich stand jedoch fest: Ich wollte ansonsten kein Extra-Zubehör besorgen, obwohl es in vielen Shops Unmengen an süßen Bento-Accessoires gibt. Back- und Bastelmutti hat aber auch bereits einiges zur Hand, z. B. Silikon-Muffin-Förmchen, einen Lebensmittelstift, Wackelaugen und Zuckerschrift. (Für Spießchen und Co. habe ich Cake-Pop-Stile verwendet, da sich mein Kind Zahnstocher oder Schaschlikspieße regelmäßig in den Gaumen rammt. Unglück abgewendet.)
Am Wochenende habe ich dann erstmal das Internet durchforstet, Inspiration habe ich unter anderem bei Berlin Mitte Mom gefunden, die auch Bento-verliebt ist und auf ihrer Seite Lunchboxdiary und ihrem Pinterest-Board “Snackboxideen für Kinder” viele tolle Ideen sammelt. Für die Muffins in meiner Dienstags-Box habe ich dieses tolle und einfache Rezept von familieberlin leicht abgewandelt und noch Mais, Paprika und getrocknete Tomaten zugefügt und ein bisschen Käse oben drauf gestreut. Yummi!
Mit genug Inspiration und Rezepten im Kopf habe ich dann eine Planzeichnung und darauf folgend einen Einkaufszettel gemacht. Ganz schön viel Arbeit. Aber: Dank meines ausgeklügelten Plans muss ich in dieser Woche kaum noch etwas einkaufen. Mittags gibt es Essen in der Schule/bei der Arbeit, abends können wir uns dann mit den Resten von Wraps, Muffins, Gemüse und Obst vergnügen, aus den Frühstücks-Schweinchen wurden im Handumdrehen Abendbrot-Ferkel. Simsalabim.
Einige Inhalte meiner Bento-Boxen erfordern doch einiges an Zeitaufwand, ein paar wenige auch Geschick. Diese verflixten kleinen Pinguine zum Beispiel. Weil ich auf keinen Fall noch früher aufstehen kann/will, bereite ich diese Dinge einfach schon abends vor. Und spare so morgens einiges an Zeit. Yey.
Ich sollte also auch in Zukunft mehr planen und vorbereiten. So passiert es mir dann wohl seltener, dass ich abends in die Brotkiste schaue und erschrocken feststelle, dass mein Kleiner morgen wohl Zwieback-Reste frühstückt. Oder mir sogar erst morgens Gedanken mache und dann eh alles zu spät ist und wir dann schlussendlich auch.
Trotzdem ist es mir so viel Kreativität und Bastelei jeden Tag ehrlich gesagt zu anstrengend. Einige der Dinge gehen super einfach: Die Fruchtstäbe, Gurken-Karotten-Blumen oder die Lachsröllchen zum Beispiel werden in Zukunft auf jeden Fall wieder ihren Weg in die Brotdose finden. Der Brot-Dino ist für mich allerdings ausgestorben, da fällt so viel Abfall an und Mami bekommt dann ständig Rinde zum Frühstück.
Und: Übermäßig viel Abwechslung und Food-Entertainment ist auch nicht gut für die kleine Kinderseele. Mein Liebling mutierte nämlich schon an Tag zwei zur Diva: “Die Pinguine ess’ ich nicht, ich will wieder einen Zauberstab!” Wie sagt Omma immer so schön: Wenn wir jeden Tag Sahnetorte essen, schmeckt die irgendwann auch nicht mehr. Ab jetzt werde ich also das Frühstück besser planen und so abwechslungsreicher gestalten. Und dem Knirps dann und wann mal eine Überraschung in die Brotbox legen, dann bleibt es etwas Besonderes.
Über die Autorin
Redakteurin
© Kali Richter
Kali Richter studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Sie schreibt nicht nur gerne über sondern auch für Kinder. Das gebürtige Nordlicht hat in Hamburg seine Heimat gefunden, fühlt sich aber in der Welt zu Hause, ihr Rucksack war dabei lange ihr liebster Begleiter. Seit sie 2011 Mutter eines Sohnes wurde, darf es aber auch mal Pauschalurlaub sein.
Kolumne von Eltern für Eltern
Im Wechsel schreiben Blogger und Journalisten über Themen, die Eltern bewegen. Lesen Sie hier Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens. Alle Kolumnen ansehen.
Neulich an der Schule eines Freundes. Er jammert gern. Über die Lehrer, über die Bücher, über die Toiletten. Eigentlich über alles, was mit der Schule seines Sohnes zu tun hat. Aber jetzt machte die Schulleiterin ihm und den anderen Eltern ein betörendes Angebot: Das Gymnasium will Ganztagsschule werden. Bis 16:30 Uhr könnten die Kinder künftig an der Schule bleiben. Nicht nur Unterricht, auch Hausaufgaben würden angeboten. Und viele schöne AGs.
Kann man nicht abschlagen. Dachte mein Freund.
Aber er hatte sich getäuscht.
Eltern wollen alles auf einmal
Mutter eins will wissen, ob das denn jeden Tag sein müsse. Mutter zwei fragt, ob es nicht auch länger gehen könnte. So bis 19 Uhr. Und ein Vater schlägt ein elektronisches An- und Abmeldesystem vor. Dann könnten sich die Kinder total unkompliziert bis 11 Uhr aus dem Ganztag ausloggen.
Die Rektorin lächelte. Eisig. Sie kämpft in ihrem Kollegium seit fünf Jahren darum, dass Ganztagsschule möglich wird. Jetzt, da sie ihre Lehrer endlich so weit hat, können sich die Eltern nicht entscheiden.
Eltern wollen alles auf einmal: Ganztagsschule – aber am besten nur halbtags. Mitreden – aber in Ruhe gelassen werden. Sanfte Erziehung – aber knallharte Abi-Noten.
Sind das jetzt die Helikoptereltern, die mit dem Kontrollzwang? Oder die Hedonisten, die ihr Kind so lange wie möglich los haben wollen? Oder die Zögerer und Zauderer?
Erziehung – von der Nazizeit bis in die 68er
Nein, die Krise mit dem Ganztag, sie gehört zur jüngeren Geschichte der Eltern wie der Schnuller zur Erziehung. Ob Erziehung privat oder politisch sein soll, ist die bohrende Frage deutscher Eltern. Ursprünglich galt hierzulande das Prinzip der Heiligen Familie. Papa verdient das Geld, Mama kümmert sich um den Nachwuchs. Tut sie es nicht, ist sie eine Rabenmutter.
Das galt, bis die Nazis kamen. Sie verstaatlichten die Erziehung. Familie war jetzt nicht mehr privat, sondern eine Art Nachschublager für die Wehrmacht. „Jedes Kind ist eine Schlacht“, hieß damals ein geflügeltes Wort. Johanna Haarer veröffentlichte „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, ein Buch, das sich mit dem NS-Regime gemein machte. “Werde hart!”, schrieb sie 1938. “Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen.”
Dann kam der Krieg, dann kam die Befreiung, dann kam die Adenauer-Zeit.
Aber die “Werde-hart”-Sätze blieben.
Johanna Haarer gab ihren Ratgeber in der jungen Bundesrepublik einfach weiter heraus. In Millionenauflage. Bis in die 1960er Jahre.
Dann kamen die 68er. Und warfen alles um.
Aus “Dein Kind ist dein Feind!” wurde: “Das Kind ist dein Freund!” Die Hart-wie-Krupp-Stahl-Erziehung wurde durch die tastende Art von Eltern ersetzt, die nicht mehr wussten, was richtig und falsch war. Kein Wunder: Adorno fragte, “gibt es eine Erziehung nach Auschwitz?” Und die Eltern dachten heimlich: Eigentlich nicht!
Die Eltern hat das total überfordert. “Ich weiß nicht, wann ich mein Kind in den Arm nehmen darf”, sagt die verwirrte Mutter eines Kinderladens. Die 68er drehten alles auf den Kopf – aber sie kamen bei einem Ergebnis heraus, das dem der Nazis blöderweise ähnelte.
Schon wieder gehörte das Kind nicht den Eltern. Nur dass diesmal keine braunen Volksgenossen erzogen werden sollten, sondern rote. “Ziel ist die Schaffung des neuen Menschen in einer revolutionierten Gesellschaft” – so lautete der O-Ton aus der Kommune 2, dem Labor der neuen Erziehung durch sexuelle Befreiung.
Die Nazis haben Kinder(erziehung) verstaatlicht, die 68er haben sie politisiert. Kein Wunder also, dass uns Ganztagsschule auch heute noch weh tut. Wir lernen gerade erst um.
Eine Kolumne von scoyo-Elternflüsterer Christian Füller
Der Autor
Christian Füller ist Journalist (u.a. FAS, Spiegel Online und Freitag) und Autor diverser Bücher über gute Schule und neues Lernen. Er hat sich dabei auch mit Eltern auseinandergesetzt. In „Ausweg Privatschulen“ (2010) gibt er Hinweise, welche private Schule sich lohnen könnte. In „Die Gute Schule“ (2009) analysiert er, warum Eltern so wahnsinnig wichtig fürs Lernen sind. Füller hat mit Jesper Juul über Eltern gestritten, die ihre Kinder immerzu nach ihrem Befinden befragen. Er hat bei Spiegel Online als ihr wichtigstes Prinzip „my kind first“ ausgemacht. Füller hat selbst zwei Kinder und hassliebt es immer noch, Elternvertreter zu sein.
Twitter: @ciffi | twitter.com/ciffi
Die Kolumne “Die Elternflüsterer”
Im Wechsel flüstern der Journalist Christian Füller und Bildungsunternehmerin Béa Beste den Eltern Geschichten und Beispiele aus der wunderbar chaotischen Welt des Lernens und Lebens ins Ohr.
In den nächsten Wochen enden in ganz Deutschland die Anmeldefristen für die weiterführenden Schulen. Vielleicht gehören Sie zu den Eltern, deren Kind keine Gymnasialempfehlung bekommen hat, und für Sie ist eine Welt zusammengebrochen, denn der Weg Ihres Kindes zum Medizin- und Jura-Studium und zu einer glänzenden, Reichtum versprechenden Karriere scheint verbaut zu sein. (Und wer soll dann später für den Unterhalt der luxuriösen Senioren-Residenz auf Mallorca bezahlen, in der Sie Ihren Lebensabend zu verbringen gedenken?)
Die heutige Kolumne möchte Ihnen aber Mut machen und voller Mitgefühl zurufen: „Verzweifeln Sie nicht!“. Das Leben ist auch ohne Gymnasium schön. Vielleicht sogar viel schöner, denn das von allen angestrebte Gymnasium ist möglicherweise überschätzt und die anderen Schulformen scheinen bei genauerer Betrachtung sehr viel vorteilhafter zu sein. Aber lesen Sie selbst!
Sit back and relax: tiefenentspannt durch die Schulzeit
Kein Wunder, dass immer mehr Gymnasiastinnen und Gymnasiasten unter Erschöpfungsdepressionen leiden. Viele von ihnen sind nur in der Lage, das Lernpensum zu schaffen, indem sie sich zum Frühstück einen Cocktail aus Amphetaminen, Ritalin und Modafinil reinpfeifen. Und um dem Chemie-, Mathe- oder Geschichtsunterricht folgen zu können, werden in der Pause literweise Energy-Drinks und Mate-Limos geext.
Indem Ihr Kind nicht aufs Gymnasium geht, erspart es sich das Schicksal eines burn-out-gefährdeten Key-Account-Managers. Für Sie persönlich hat das außerdem den großen Vorteil, Ihre Niere nicht auf dem Schwarzmarkt verkaufen oder nackt putzen gehen zu müssen, um bei zwielichtigen Dealern die ganzen chemischen Wachmacher und Konzentrationsbooster für Ihr Kind besorgen zu können.
Ihr Kind kann es auf der Real- oder Hauptschule im Vergleich zum Gymnasium wesentlich gemütlicher angehen lassen und eine unbeschwerte Jugend genießen. Es kann ganze Wochenenden durchchillen, ohne das Bett zu verlassen, alle 10.229 YouTube-Videos von Gronkh anschauen, einen neuen Weltrekord im Netflix-Bingewatchen aufstellen und sämtliche Teile von Grand Theft Auto bis zum Ende durchspielen.
Nach der Mittleren Reife ist Ihr Kind dann tiefenentspannt wie ein Zen-Mönch, so dass es aufs Gymnasium wechseln und ganz relaxt sein Abitur machen kann.
Niemand braucht minderjährige Studenten
An vielen Gymnasium wird das Abitur – zumindest gegenwärtig noch – schon nach zwölf Jahren abgelegt. Somit erlangen die meisten Schülerinnen und Schüler ihre Hochschulreife, bevor sie die Volljährigkeit erreicht haben. Sie als Eltern müssen dann mit ins Einschreibebüro der Uni dackeln und eine Unterschrift leisten, damit Ihre Brut exotische Fächer wie Papyrusforschung, Fennistik oder Betriebswirtschaftslehre studieren kann.
Da ist es geradezu ein Glücksfall, wenn Ihr Kind nicht aufs Gymnasium geht. Nach der Mittleren Reife beginnt es hoffentlich eine Ausbildung und verdient ein eigenes Gehalt, was für Sie eine lukrative Einnahmequelle bedeutet. Sie können von Ihrem Kind Geld für Kost und Logis verlangen, wodurch sie die Möglichkeit haben, zwei- bis dreimal im Jahr Städtereisen ins europäische Ausland zu unternehmen. Bedauerlicherweise ohne das Kind, denn so viel Miete können Sie ihm auch nicht abknöpfen. Außerdem muss es ja arbeiten.
Elternabend: Let me entertain you!
Aus der Grundschulzeit Ihres Kindes wissen Sie bereits, dass Elternabende, so wichtig sie auch für den Austausch mit den Lehrerinnen und Lehrern sind, häufig sehr anstrengend sein können. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern: Auf dem Gymnasium sind Elternabende noch viel schlimmer. Keine Nichtigkeit ist trivial genug, um nicht in epischer Breite ausdiskutiert zu werden, die Aussage “Es gibt keine dummen Fragen” verliert ihre Gültigkeit und eine Runde chinesische Wasserfolter erscheint eine mehr als attraktive Alternativbeschäftigung zu sein.
Als Krönung eines langen, stressigen Arbeitstages müssen Sie sich mit den vollkommen bizarren Vorstellungen anderer Eltern auseinandersetzen: “Ich möchte unter keinen Umständen, dass im Sportunterricht gefährliche Sportarten wie Basketball ausgeübt werden. Sonst verletzt sich Karl-Theodor seine zarten Finger und kann nicht am Cello-Vorspiel teilnehmen.” Ein Moment, in dem Sie auch als radikal-pazifistisch gesinnter Mensch das dringende Bedürfnis verspüren, sich einen Arm auszureißen, um damit den Vater des Nachwuchs-Cellisten zu verhauen.
Dagegen sind Elternabende auf Gesamt-, Real- oder Hauptschulen geradezu paradiesisch. Zum einen ist die Zahl der anwesenden Eltern deutlich geringer und ihre Diskussionsbereitschaft ist weniger stark ausgeprägt. Beides wirkt sich sehr vorteilhaft auf die Dauer des Elternabends aus. Zum anderen haben die besprochenen Themen einen wesentlich höheren Unterhaltungswert. Da geht es zum Beispiel darum, dass “Du Opfer” keine adäquate Anredeform ist. Insbesondere nicht gegenüber dem Lehrpersonal. Oder darum, wie der Drogenkonsum in den Pausen auf ein verträgliches Maß reduziert werden kann, um den Unterricht in geregelten Bahnen abzuhalten. (Damit keine Missverständnisse entstehen: Es geht um den Drogenkonsum auf dem Pausenhof, nicht im Lehrerzimmer.)
Aus reinstem Eigennutz sind unterhaltsame Elternabende ein sehr guter Grund, Ihr Kind nicht ohne Not aufs Gymnasium zu schicken.
Wer braucht schon Abitur?
Heutzutage ist es durchaus möglich, auch ohne Hochschulreife eine glänzende Karriere hinzulegen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die letzte Kolumne und an Thomas Mann, der es mit Realschulabschluss bis zum Literaturnobelpreis schaffte.
Es gibt aber auch Fälle, die der Lebenswelt Ihrer Kinder möglicherweise näher sind. Zum Beispiel Sido. Das ist dieser Rapper, der früher nur mit Maske aufgetreten ist. (Nein, nicht Cro. Das ist der Typ mit der Pandafresse.) Mit fast vier Millionen verkauften Tonträgern gehört Sido zu den erfolgreichsten Rappern Deutschlands. Und das, obwohl er nur einen Hauptschulabschluss hat. (Unter Umständen hat dies seinen Erfolg sogar begünstigt.)
Als Eltern wird es Sie sehr freuen, dass Sido auch ohne Abitur und trotz seines Erfolges seine Mutter abgöttisch liebt. In seinem Song “Mama ist stolz” bringt er dies in – zugegebenermaßen etwas schlichten und die Grenzen der Grammatik strapazierenden aber dafür sehr ehrlich gemeinten – Sätzen zum Ausdruck:
Ich werd’ dir doppelt so viel Gutes tun, wie du für mich gemacht hast!
Wünsch’ dir was und Ich schwör’ dir ich mach das!
Ich will dir noch so viel sagen, doch ein Track reicht nicht!
Ich bin froh, dass du mich liebst! Dein Sohn ist stolz auf dich!
Sätze, die Sie sicherlich gerne auch mal von Ihrem Kind hören würden.
Der Vollständigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass sich Sidos Liebe zu Müttern auf die eigene beschränkt. 2009 stand er vor Gericht, weil er einer gehbehinderten Rentnerin erläuterte, er gedenke, mit einer ihrer Krücken ihre Mutter zu erschlagen. Sidos cholerisches Temperament und sein Mangel an allgemein akzeptieren Umgangsformen muss aber nicht zwangsläufig damit zu tun haben, dass er nicht aufs Gymnasium gegangen ist. Von daher können Sie Ihr Kind ruhigen Gewissens auf die Real- oder Hauptschule gehen lassen. Es wird schon irgendwie gut gehen.
Gut Ding will Weile haben
Nun werden Sie einwenden, dass nicht jedes Kind mit dem Talent und der Street Credibility gesegnet ist, um Erfolg als Gangster Rapper zu haben. Daher wäre so ein Abitur prinzipiell doch keine schlechte Sache. Obwohl Sie damit nicht ganz Unrecht haben, muss ihr Kind trotzdem nicht die besten Jahre seiner Jugend mit dem Büffeln auf dem Gymnasium verbringen. Heutzutage ist es durchaus üblich, das Abitur später zu machen, etwa auf der Abendschule oder im Erwachsenen-Kolleg. Ihr Kind hat also sein ganzes Leben Zeit, sein Abi zu machen.
Hier taugt beispielsweise die Berlinerin Sonja Rasch als glänzendes Vorbild. Die hat 2008 ihre Hochschulreife auf dem zweiten Bildungsweg erworben. Und zwar mit stolzen 78 Jahren und nur sechs Monate nach einer Herzklappen-OP.
Reflexartig denken Sie jetzt womöglich, dass sei doch ein bisschen sehr spät, aber wenn Sie nur ein wenig darüber nachdenken, werden Sie sehen, dass die Vorteile eines späten Abiturs nicht von der Hand zu weisen sind.
Bei einer fast 80-jährigen Schülerin müssen Sie als Eltern nicht die Erledigung von Hausaufgaben anmahnen oder unregelmäßige französischen Verben abfragen. Außerdem werden Sie auch nicht am späten Abend von der Ankündigung überrascht, am nächsten Tag fände in der Schule ein Kuchenverkauf statt, für den Sie noch 64 glutenfreie, vegane Dinkelmehl-Cup-Cakes backen müssten.
Einen winzigen Nachteil hat es allerdings doch, wenn Ihr Kind erst im Greisenalter Abitur macht: Sie leben dann wahrscheinlich gar nicht mehr und können nicht mit ihm zum Abi-Ball gehen. Also, schicken Sie Ihr Kind vielleicht doch lieber jetzt schon aufs Gymnasium.
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Kolumne von Eltern für Eltern
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Über den Autor
Christian Hanne, Jahrgang 1975, ist im Westerwald aufgewachsen und hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und ‘Nackte Kanone’ geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und ihren beiden Kindern in Berlin-Moabit. Auf seinem Blog ‘Familienbetrieb’, auf Twitter und Facebook schreibt er über den ganz normalen Alltagswahnsinn. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September ist sein Buch “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith” im Seitenstraßenverlag erschienen. In zwölf gar nicht mal so kurzen Kurzgeschichten sinniert er darüber, wie Schwangerschaft, Marathongeburten und nachtaktive Babys eine moderne, gleichberechtigte Partnerschaft auf die Probe stellen.